Sphaerenmusik
er ist unten im Salon und telefoniert mit der Edinburgher Polizei. Der Dorfpolizist ist schon hier.“ Sie seufzte. „Welch ein Skandal, ein Fre udenfest für die Presse. Ein Verwandter von uns, ein Mörder!“
„Was war mit Joans Sohn?“, unterbrach sie Si lvia ungeduldig.
„Ja, als wir hier eintrafen, herrschte große Au fregung. Keiner wusste was Genaues, nur dass ihr verschwunden und wieder aufgetaucht seid. Dann hat uns Joan eine Beichte abgelegt. Wenn Joan das nur früher getan hätte!
Als Joan vor sechs Jahren nach dem Brand, bei dem sie ihren Mann verloren hatte, Lord Allan von ihrer Notlage schrieb, lud dieser sie trotz seiner eigenen Armut ein, mit ihrem von Brandwunden entstellten Sohn nach Schloss Harleigh zu ko mmen. Doch Lord Allan hatte eine große Charakterschwäche...“ Elisabeth zögerte, dann sagte sie entschuldigend: „Bitte, nimm es deinem Vater nicht übel. Welcher Mensch ist schon fehlerfrei? Allan wusste zwar, dass Joans Sohn schwer verletzt worden war, aber er ahnte nicht... Als er Joan mit dem damals elfjährigen Sandro vor sich sah, konnte er sein Entsetzen über dessen Aussehen nicht verbergen. Sandros Gesicht ist entstellt, ich hab's vorhin selbst gesehen.“
Silvia nickte. „Ich weiß“, sagte sie.
Elisabeth fuhr fort: „Nun, Allan verlangte von Joan, ihm Sandro ja vom Leibe zu halten. Und so versteckte sie ihn in ihren beiden Räumen. Sie gab ihm selbst Schulunterricht. Er ist ein sehr intelligenter Junge, aber er hatte eine trostlose Kindheit. Nur nachts wagte er sich in den Park. Und doch hatte er eine Entschädigung dafür. Er konnte ungestört am Tag Geige spielen, da Allan und der alte Butler James von seiner Existenz wussten. Die Geige hatte er in der Truhe von Daphnes Wohnzimmer gefunden. Es war die Geige ihres Geliebten, denn auf der Rückseite ist ‚Pierre Lenne achtzehnhunderteinundfünfzig’ eingraviert.“
Erstaunt warf Silvia dazwischen: „Wie ist sie denn in Daphnes Truhe gekommen?“
Elisabeth zuckte mit den Schultern. „Das werden wir wohl nie erfahren. - Und nun kamen wir, die neuen Herren! Joan fürchtete, dass auch wir an dem entstellten Jungen Anstoß nehmen würden, und so verschwieg sie seine Existenz, und James half ihr dabei. Für Sandro allerdings war die Lage noch schwieriger geworden, denn jetzt hatte sich das Schloss mit Menschen gefüllt. Nicht um einen Geist zu spielen, hüllte er sich in den Umhang, sondern um sich der Dunkelheit besser anzugleichen, wenn er nachts spazieren ging. Und nur noch nach Mitternacht spielte er, wenn er glaubte, dass alles schlief. Trotzdem wurde er nachts ab und zu gesehen oder sein Geigenspiel gehört, und so kam das Gerede auf, dass der Phantomgeiger wiederaufgetaucht sei, um seine Liebste zu suchen. Und das Gerücht wurde noch durch Marys Freund bestärkt.
Joan wusste, dass das auf die Dauer für Sandro kein Leben war, und dass er unter seiner Entste llung furchtbar litt. Ihm konnte nur ein Chirurg helfen, doch dazu hatte sie kein Geld. Sie wusste, dass Allan stets nach dem Schmuck gesucht hatte. Solange er lebte, hätte sie ihm den Schmuck nicht streitig gemacht, aber nach seinem Tode sah sie nicht ein, warum sie nicht selbst danach suchen sollte. Wir waren reich, dachte sie, wir brauchten ihn nicht, und auch du, Silvi, hast ihn nicht so nötig wie ihr Sohn, um diesem ein normales Leben zu ermöglichen.
„Damit hat sie vollkommen recht“, warf Silvia spo ntan ein.
Liebevoll nickte die Tante ihrer Nichte zu, um dann fortzufahren: „Daher begannen sie, das ganze Schloss systematisch zu untersuchen, einschließlich Daphnes Zimmer und des Fluchtganges, den Joan aus der Familienchronik kannte, bevor Mike die entsprechenden Seiten herausriss. Als Mike die Stelle des Hauslehrers antrat, merkten sie bald, dass sie einen Konkurrenten bekommen hatte. Joan wusste, dass Mike das schwarze Schaf der Familie war und stets hohe Spielschulden ha tte.“
„Warum hat sie das nicht Onkel John gesagt?“, fra gte Silvia empört.
„Höchstwahrscheinlich, weil sie selber ein schlechtes Gewissen wegen Sandro hatte“, verm utete Elisabeth. „Die beiden hielten es nun für ihre Pflicht, Mike zu beobachten, besonders, wenn er angeblich zu seiner kranken Mutter fuhr, die in Wirklichkeit längst nicht mehr lebt. Es fiel Sandro nicht schwer, sich vor Mike in dem großen Keller-Labyrinth zu verbergen, wenn er ihn verfolgte, denn er kannte sich dort gut aus. So fand er auch dich, nachdem Mike dich niedergeschlagen hatte,
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