Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
Kräften, auf die Ängste der Weißen einzugehen. Wir versichern ihnen, daß sie in der Zukunft nichts zu fürchten haben. Seit der Aufhebung des ANC-Verbots schließen sich viele Weiße unserer Bewegung an. Das ist ein gutes Zeichen.
SPIEGEL: Auch die Feindseligkeiten zwischen schwarzen Südafrikanern führen immer wieder zu Blutvergießen. Die Anhänger des Zulu-Führers Mangosuthu Buthelezi kämpfen gegen den ANC. Die Radikalen vom Pan-Africanist Congress verachten Ihre Friedenspolitik. Wie wollen Sie die Zersplitterung überwinden?
Mandela: Wir müssen eine Einheitsfront aller Apartheid-Gegner schaffen. Mit einigen Organisationen haben wir bereits gesprochen, ebenso mit den Führern der schwarzen Homelands, die uns ihre Unterstützung zugesichert haben.
SPIEGEL: Nur mit Ihrem Rivalen Buthelezi sprechen Sie nicht, dabei hat er jahrelang Ihre Freiheit gefordert.
Mandela: Es geht nicht mehr um Buthelezi, er ist inzwischen völlig isoliert. Die Regierung in Pretoria schlachtet die Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und seinen Leuten aus, um den ANC zu zerstören, in dem sie eine Bedrohung weißer Vorherrschaft sieht. Das ist unser Problem, Buthelezi ist nur ein kleiner Teil davon.
SPIEGEL: Seit Ihrer Entlassung haben Gewalttaten in allen Landesteilen wieder zugenommen. Viele Schulen werden weiterhin boykottiert. Könnte es sein, daß die radikalen schwarzen Jugendlichen in den Townships nicht mehr auf Sie hören und daß der ANC seinen Einfluß überschätzt hat?
Mandela: Niemand kann von einer Organisation, die 30 Jahre lang verboten war, erwarten, daß sie alle Probleme sofort löst. Das ist doch unrealistisch. Wir müssen Strukturen schaffen, die es dem ANC ermöglichen, seine Politik der breiten Bevölkerung näherzubringen.
SPIEGEL: Der Schulboykott begann mit dem Slogan: „Erst Befreiung, dann Erziehung“. Hat der ANC da einen Fehler gemacht?
Mandela: Die Jugendlichen von heute sind unsere Führer von morgen. Wir wollen, daß sie genauso gute Ausbildungsmöglichkeiten haben wie junge Weiße. Wenn unsere Jugendlichen diese Möglichkeiten nicht haben oder nicht nutzen, können sie ihre künftigen Aufgaben nicht wahrnehmen. Darum sind wir so besorgt, wenn sie nicht zur Schule gehen.
SPIEGEL: Das scheint die Boykotteure aber nicht zu beeindrucken.
Mandela: Auch das ist die Schuld der Regierung. Die Apartheid-Politik ist der eigentliche Grund für den Schülerprotest. Sie ist verantwortlich für die unzureichende Anzahl und die mangelhafte Qualität schwarzer Schulen.
SPIEGEL: Tatsache ist: Die landesweiten Spannungen gefährden den Friedensprozeß. Hat sich der ANC nichts vorzuwerfen?
Mandela: Zweifellos herrscht auch bei einigen Aktivisten eine gewisse Disziplinlosigkeit. Aber die Führung verurteilt einmütig alle Gewaltakte gegenüber der Bevölkerung.
SPIEGEL: Warum besteht der ANC noch immer auf der Fortsetzung des bewaffneten Kampfes?
Mandela: Als politische Organisation verfolgt der ANC die Strategie, die Apartheid abzuschaffen, die Herrschaft des Rassimus zu zerstören und eine Gesellschaft ohne Rassenunterschiede herbeizuführen. Erst wenn diese Ziele erreicht sind, können wir unsere Strategie überprüfen. Das gilt auch für die Forderung nach einem Ende der Wirtschaftssanktionen und des bewaffneten Kampfes. Warum sollten wir darauf verzichten, bevor wir unsere Ziele erreicht haben?
SPIEGEL: Zum Beispiel, um die Verhandlungen zu beschleunigen.
Mandela: Viele Unterdrückte in diesem Land halten eine solche Forderung für ein Argument derer, die niemals wirklich Freunde der Schwarzen in ihrem Kampf gegen rassische Verfolgung waren.
SPIEGEL: Wenn Sie einer Lockerung der Sanktionen zustimmen würden, wäre es für de Klerk einfacher, seine Reformen bei den Weißen zu verkaufen. Er könnte sagen: „Seht her, ich kriege auch etwas.“
Mandela: Wir finden es seltsam, daß der Westen so sehr de Klerk entgegenkommt, aber nicht dem ANC-Führer Oliver Tambo. Es nährt den Verdacht, daß Weiße nur an die Interessen der Weißen denken, zum Nachteil der Schwarzen.
SPIEGEL: Nein, es geht darum, die Chancen für eine politische Lösung des Konfliktes zu verbessern.
Mandela: Wenn der Westen nicht über all die Jahre südafrikanische Regierungen unterstützt hätte, vor allem während der letzten 42 Jahre, gäbe es schon längst keine Apartheid mehr. Das Verlangen nach Lockerung der Sanktionen erscheint uns wie eine Fortsetzung der einseitigen Unterstützung. Warum verlangt man Hilfestellung
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