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Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013

Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013

Titel: Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Puhl (Vorwort)
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feststellen, welcher Weg der beste ist.
    SPIEGEL: Muß der ANC nicht seine Vorstellungen vom Sozialismus überprüfen, nachdem die sozialistischen Systeme vor allem in Osteuropa zusammengebrochen sind?
    Mandela: Die Bedingungen in Europa sind völlig anders als die in Afrika. Aber Afrika wird von den Erfahrungen Europas lernen. Eine der Schwächen bestand darin, daß es in Europa keine Möglichkeit für eine freie und demokratische Teilnahme am öffentlichen Leben gab. Wir werden in Afrika unseren eigenen Weg zum Sozialismus entwickeln.
    SPIEGEL: Wie soll denn der aussehen?
    Mandela: Niemand darf die Auswirkungen der europäischen Geschehnisse auf Afrika übertreiben. In Ländern wie Mosambik, Angola, Äthiopien und Simbabwe wird es den Sozialismus weiterhin geben, trotz der Ereignisse in Europa.
    SPIEGEL: Wir haben den Eindruck, daß es diesen Ländern ohne Sozialismus besserginge. Bislang hat niemand den Sonderweg zum Sozialismus gefunden.
    Mandela: Ich versichere Ihnen, daß die Massen in Afrika nichts mit dem Kapitalismus zu tun haben wollen. Das ist ein wichtiger Unterschied zu Europa. Nehmen Sie uns in Südafrika: Schuld an unserer heutigen Lage ist die Verbindung von rassischer Unterdrückung und Kapitalismus.
    SPIEGEL: Der Sozialismus in den von Ihnen erwähnten afrikanischen Ländern hat dem Volk weder Wohlstand noch - mit der Ausnahme Simbabwes vielleicht - Demokratie gebracht.
    Mandela: Ich will mich dazu nicht kategorisch festlegen. Aber wenn Sie die Zukunft des Sozialismus in Afrika an den Ereignissen in Osteuropa messen wollen, machen Sie einen großen Fehler.
    SPIEGEL: Beweist Ihre Position nicht doch den Einfluß Ihres Verbündeten, der Südafrikanischen Kommunistischen Partei SACP, auf den ANC?
    Mandela: Nein. Ich bin kein Mitglied der SACP. Ich halte es nicht für die Pflicht des ANC, zu den Kommunisten zu gehen und über die Zukunft des Sozialismus in diesem Land zu beraten. Wir haben ein völlig anderes Programm.
    SPIEGEL: In den letzten Jahrzehnten waren Sie der wichtigste Führer des schwarzen Südafrika, erst recht durch Ihre Haft wurden Sie ein Symbol für den Befreiungskampf. Jetzt müssen Sie sich in die Rolle eines Politikers fügen, von dem Lösungen erwartet werden. Belastet Sie das?
    Mandela: Niemand, kein einzelner Mensch, kann das Symbol eines Befreiungskampfes in einem Land sein. Die Hochachtung für den einzelnen wird von der Organisation gefördert, zu der er gehört. Der ANC hat in Oliver Tambo einen Führer, der in jedem Land an die Spitze gerückt wäre. Er hat selbstlos jeden Personenkult für sich unterbunden und seine Mitkämpfer im Gefängnis - mich zum Beispiel - zur Mobilmachung des Landes eingesetzt. Aber natürlich machen mir die Pflichten, die mir übertragen wurden, Freude.
    SPIEGEL: Sie sind zu bescheiden. Mandela ist der bekannteste südafrikanische Name in der Welt. Sogar schwarze Amerikaner betrachten Sie als Leitfigur bei ihrem eigenen Kampf gegen den Rassismus.
    Mandela: Selbst dann war es die Strategie der Organisation, die den einzelnen in der Welt bekanntgemacht hat. Wenn ich heute den ANC im Streit verließe, dächte niemand mehr an mich. Ich bin nur einflußreich, weil ich die Unterstützung des ANC und das Vertrauen des Volkes habe. Sonst wären auch Sie heute nicht hier bei mir.
    SPIEGEL: Die Chancen für eine friedliche Lösung in Südafrika standen noch nie so gut wie jetzt. Doch dafür muß der ANC einen Preis bezahlen: Er muß sich politisch mit der weißen Führung arrangieren, und wirtschaftlich werden Sie die Hilfe weißer Geschäftsleute brauchen. Haben Sie sich jemals vorgestellt, daß die Befreiung auf diese Weise kommen würde - Verhandlungen mit Ihren lebenslangen Feinden?
    Mandela: Die Massenmedien, die Experten und die politischen Beobachter haben der Welt und uns weisgemacht, es sei unvorstellbar, daß sich Regierung und ANC jemals zusammensetzen würden, um zu verhandeln. Aber das ist nun passiert. Es wird noch Schwierigkeiten geben, aber man wird sich anstrengen, sie aus dem Weg zu räumen. Deswegen kann ich Sie nur auffordern, optimistisch zu sein wie ich und de Klerk.
    SPIEGEL: Es gibt also noch Wunder, sogar in Südafrika?
    Mandela: Sie sind schon geschehen.
    SPIEGEL: Dr. Mandela, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

    Das Gespräch führten die Redakteure Hans Hoyng und Paul Schumacher.  

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