Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
für de Klerk und nicht für die Befreiungsbewegung? Weil man einen großen Fehler macht: Man denkt an die Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, also an die Weißen, aber nicht an das Land als Ganzes. Das paßt uns nicht.
SPIEGEL: Politiker in aller Welt, selbst aus dem konservativen Lager, wetteifern aber doch, Sie wie ein Staatsoberhaupt zu empfangen.
Mandela: Das begrüße ich. Die Tatsache, daß wir von Westeuropa und anderen Teilen der Welt unterstützt wurden, läßt vermuten, daß die Menschen dort nicht an Hautfarben, sondern an Menschenrechte glauben. Aber die Besorgnis um Herrn de Klerk bei den gegenwärtigen Verhandlungen läßt den Verdacht aufkommen, daß wir vielleicht doch zu Unrecht glauben, die Weißen fühlten sich dem Kampf für die Menschenrechte verpflichtet. Warum wird nicht gefragt: Wie können wir eine Strategie finden, die sowohl Oliver Tambo als auch de Klerk entlastet? Das wäre die richtige Frage.
SPIEGEL: Sie selbst haben de Klerk doch einen ehrlichen Mann genannt.
Mandela: Aber er könnte auch noch immer in der alten Weise weitermachen. Die Apartheid ist noch in Kraft. Die Polizei und die Armee schießen noch immer auf unsere Anhänger und töten sie; Leute, die das Gesetz in die eigene Hand nehmen - Schwarze und Weiße -, spielen verrückt; rechte Extremisten sind auf dem Kriegspfad, und die Regierung unternimmt nichts.
SPIEGEL: Eine Lockerung der Sanktionen würde zumindest der südafrikanischen Wirtschaft helfen. Sie werden eine Wachstumswirtschaft brauchen, um eine gerechtere und gleichmäßigere Verteilung von Südafrikas Reichtum zuwege zu bringen. Wie wollen Sie das erreichen?
Mandela: Wir haben all die Jahre gelitten, und wir sind bereit, weiterhin zu leiden, wenn dadurch unsere Befreiung vollendet wird. Es ist ja bekannt, daß wir selbst in besten Zeiten wirtschaftlich zu kurz kamen. Die Weißen, nicht wir, genießen einen hohen Lebensstandard. Mein Volk ist arm, es leidet unter Krankheiten, es hat keine ordentlichen Wohnungen und kann sich die öffentlichen Transportmittel nicht erlauben. Aber was hätten Ihrer Ansicht nach die Schwarzen davon, wenn sich jetzt die Wirtschaftslage des Landes bessern würde? Das käme nur den Weißen zugute, die das Monopol auf die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes haben.
Wir sind nicht interessiert an der Belebung eines wirtschaftlichen Systems, an dem wir nicht wirklich teilhaben. Wir interessieren uns für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes nur, wenn sie zu einer gleichmäßigeren Verteilung des Wohlstands führt.
SPIEGEL: Selbst viele weiße Südafrikaner glauben mittlerweile, daß eine Umverteilung für die friedliche und gerechte Entwicklung Südafrikas notwendig ist. Die Frage bleibt: Wie?
Mandela: Der genaue Mechanismus sollte einer Kommission von Spezialisten anvertraut werden. Damit können wir getrost bis zu dem Zeitpunkt warten, an dem wir in der Lage sein werden, die wirtschaftliche Umverteilung zu beeinflussen - also erst dann, wenn sich die Politik des Landes unter einer nichtrassistischen Regierung verändert hat.
SPIEGEL: Die Freiheitscharta des ANC verlangt die Verstaatlichung von Monopolindustrien. Wie muß man sich das vorstellen: Werden die Betriebe gekauft, oder werden die Besitzer enteignet?
Mandela: Verstaatlichung, die Teilhabe der Regierung an der Wirtschaft, gibt es überall auf der Welt. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, eine wirtschaftliche Umverteilung zu erreichen. Wenn wir zum Beispiel den Bergbau verstaatlichen wollten, würden wir Fachleute zu Rate ziehen. Die würden dann die beste Methode einer Regierungsbeteiligung untersuchen. Das könnte bedeuten, daß 51 Prozent der Aktien der Regierung gehören und 49 Prozent in Privatbesitz sind oder umgekehrt. Es könnte aber auch gut sein, daß die Regierung nur 33 Prozent hält. Wenn ich von einer gerechteren Verteilung des Besitzstandes spreche, denke ich auch an das Vorbild des SPIEGEL, wo den Beschäftigten ein erheblicher Teil des Unternehmens gehört.
SPIEGEL: Sind Sie sich klar darüber, daß die Verstaatlichungsdiskussion in weiten Teilen der Wirtschaft Angst ausgelöst hat?
Mandela: Die Angst ist grundlos, denn staatliche Beteiligungen sind in vielen Wirtschaftsbereichen schon jetzt Politik dieses Landes. Die Stromversorgung beispielsweise ist staatlich. Wenn das geändert würde, schössen die Preise nach oben. Es gibt keinen Grund, eine Beteiligung des Staates zu fürchten. Wir müssen nur für jeden Industriezweig
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