Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
gemeinsame Veranstaltungen durchzuführen. Warum hat bisher noch keine einzige stattgefunden?
Mandela: Gleich nach der Vereinbarung haben wir unsere Vertreter zur Inkatha geschickt, um die Einzelheiten zu diskutieren. Diese Diskussionen haben bisher keine Ergebnisse gebracht.
SPIEGEL: Jahrzehntelang war den Schwarzen in Südafrika politische Aktivität untersagt. Wie können sie in der kurzen Zeit bis zur Wahl im April lernen, daß ein politischer Gegner kein Todfeind ist?
Mandela: Es wäre falsch zu behaupten, schwarze Südafrikaner seien nicht tolerant. Politische Gewalt herrscht nur in zwei Regionen, in Teilen Natals und in den Townships südöstlich von Johannesburg. Im Rest des Landes können politische Veranstaltungen ohne Probleme abgehalten werden.
SPIEGEL: Aber für die von Weißen beherrschten Parteien ist es fast unmöglich, in schwarzen Townships um Stimmen zu werben.
Mandela: Ja, Veranstaltungen in Johannesburg und in der westlichen Kapprovinz wurden gestört. Aber vergessen wir nicht: Auch der ANC und andere demokratische Bewegungen können in bestimmten Gebieten, so in KwaZulu und in von rechten Weißen dominierten Städten, politisch nicht auftreten. Das liegt zum großen Teil an de Klerk. Er hätte die Macht, freie politische Aktivität in solchen Regionen zu gewährleisten.
SPIEGEL: Viele Weiße fürchten, daß sie unter einer vom ANC geführten Regierung keine Zukunft in Südafrika haben. Eine wachsende Zahl verläßt bereits das Land. Wie wollen Sie diese für die Wirtschaft so wichtige Bevölkerungsgruppe beruhigen?
Mandela: Jahrzehntelang war der ANC verboten und hatte keine Möglichkeit, sich in Südafrika vorzustellen. Unsere Politik wurde nur verzerrt dargestellt. Deshalb haben so viele Weiße Angst vor uns. In Südafrika ist Platz für alle Bevölkerungsgruppen. Wir brauchen die Weißen, das sage ich ihnen, wo immer ich sie treffe.
SPIEGEL: Viele Weiße glauben auch, der ANC verfolge in seiner Wirtschaftspolitik noch immer alte sozialistische Ziele. Ist Ihre Bewegung noch marxistisch geprägt?
Mandela: Es bringt nichts, verschiedene Gesellschaftsmodelle unter ideologischen Gesichtspunkten zu diskutieren. Wir stehen zu einer Wirtschaftspolitik, die vom Markt bestimmt wird. Aber wir sind in Südafrika geschlagen mit der ungeheuren Ungleichheit von Schwarz und Weiß: Löhne, Arbeitsplätze, Erziehung - eigentlich in jedem Bereich tut sich eine unerträgliche Kluft auf. Priorität muß deshalb eine Entwicklung haben, die langfristig für Schwarze die gleichen Chancen schafft wie für Weiße.
SPIEGEL: Woher wollen Sie das Geld nehmen, das dazu nötig ist?
Mandela: Wir brauchen Mittel - aus Südafrika und aus dem Ausland. Wir versichern ausländischen Investoren, daß ihr Eigentum garantiert wird. Falls ein Investor seine Aktivitäten in Südafrika einstellen will, so ist er berechtigt, sein Kapital und seine Gewinne aus dem Land abzuziehen. Kein Farmer, der sein Land legal erworben hat, muß um seinen Besitz fürchten.
SPIEGEL: Südafrika ist das reichste Land in Afrika, einem Kontinent der Krisen und des Elends. Kann Südafrika nach dem Ende der Apartheid zum Modell für Demokratisierung und wirtschaftlichen Aufschwung werden?
Mandela: Die Apartheid hat das bisher verhindert. Nun ist der Weg frei: Südafrika hat eine entwickelte Infrastruktur - moderne Häfen, ein gutes Straßennetz, Elektrizität, ein ausgezeichnetes Kommunikationssystem. Wenn wir in der Lage sind, unsere Wirtschaft zu entwickeln, strahlt das weit über die Grenzen hinaus.
SPIEGEL: Wie wird Südafrika in 20 Jahren aussehen?
Mandela: Ein Land voller Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Südafrika ist reich an Bodenschätzen. Und wenn wir die Apartheid endgültig begraben und die großen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft beseitigt haben, dann wird Südafrika ein blühendes Land, in dem die Menschen so glücklich wie möglich leben.
SPIEGEL: Ist der Visionär Mandela da nicht in Gefahr, den Blick auf die Probleme der Gegenwart zu verlieren?
Mandela: Unser jahrzehntelanger Kampf beginnt jetzt endlich Früchte zu tragen. Wir haben uns an den Verhandlungstisch gesetzt und mit unseren Feinden geredet, um die Probleme dieses Landes anzupacken. Meine Erwartungen haben sich erfüllt: Am 27. April 1994 werden wir unsere Stimme abgeben. Der Tag der Wahl wird der Tag unserer Befreiung sein.
SPIEGEL: Mit größter Wahrscheinlichkeit werden Sie dann Südafrikas erster schwarzer Präsident werden. Aber Sie scheinen auch
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