Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
menschlichen Willens“.
Weltberühmt wurde Mandela am 20. April 1964. Es war der Tag, an dem er eine fulminante Verteidigungsrede im Obersten Gerichtshof zu Pretoria hielt. Das weiße Regime hatte ihn und sieben Mitstreiter wegen Sabotage und Verschwörung angeklagt. Nach einem monatelangen Schauprozess drohte den Männern die Todesstrafe.
Nelson Mandela war damals Staatsfeind Nummer eins. Er führte den Widerstand des African National Congress (ANC) gegen das weiße Rassenregime an, in dem Schwarze als Menschen zweiter Klasse unterdrückt und ausgebeutet wurden.
Zunächst hatte sich die Befreiungsbewegung mit friedlichen Mitteln gewehrt. Mandela hatte sich intensiv mit „Satyagraha“ beschäftigt, mit Mahatma Gandhis Prinzip des gewaltfreien Widerstands. Aber angesichts der Brutalität des Staatsapparats kam er bald zu der Überzeugung, dass Feuer nur mit Feuer bekämpft werden könne. „Sebatana ha se bokwe ka diatla“, lehrt ein Sprichwort seines Volkes, der Xhosa: Den Angriff eines Raubtieres kann man nicht mit bloßen Händen abwehren.
Nach dem Massaker von Sharpeville im März 1960, bei dem die Polizei 69 Menschen erschossen hatte, die meisten von hinten, hatte der ANC einen militärischen Flügel, den „Speer der Nation“, gegründet.
Und um dessen Anschläge ging es nun. Im Gerichtssaal wurde es stiller und stiller, je länger der Hauptangeklagte redete. Am Ende seiner vierstündigen Ausführungen legte Nelson Mandela das Manuskript zur Seite, fixierte den Richter und sprach die letzten Sätze frei.
„Ich habe mein ganzes Leben dem Kampf des afrikanischen Volkes geweiht ... Ich habe das Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft hochgehalten, in der alle Menschen friedlich und mit gleichen Möglichkeiten zusammenleben. Wenn es sein muss, Euer Ehren, bin ich auch bereit, für dieses Ideal zu sterben.“
Der Richter sprach sieben der acht Angeklagten schuldig und verurteilte sie zu lebenslanger Kerkerhaft. Beamte führten Mandela ab. Er sollte erst zweieinhalb Jahrzehnte später wieder freikommen.
Das Burenregime ließ ihn wegsperren auf Robben Island, einer Insel im Atlantik, auf die früher Leprakranke verbannt worden waren. Er war wie ein Aussätziger, den die Welt vergessen sollte. Selbst die Veröffentlichung von Fotos des „Terroristen“ stand unter Strafe. Doch gerade dieses archaische Bilderverbot stärkte den Mythos Mandela. Er sollte zum berühmtesten Gefangenen des 20. Jahrhunderts werden.
Am 11. Februar 1990, nach 10 000 Hafttagen, beugte sich das Apartheid-Regime internationalem Druck und ließ Mandela frei. „Ich hatte trotz meiner 71 Jahre das Gefühl, ein neues Leben zu beginnen.“ In seiner ersten Ansprache vor 100 000 Anhängern in Kapstadt versuchte er, sich selbst zu entmystifizieren: „Ich sprach von Herzen. Zuerst wollte ich den Leuten sagen, dass ich kein Messias war.“
Südafrika stand nun ein Umbruch bevor, in dem beinahe ein Bürgerkrieg zwischen den Kräften der alten Ordnung und radikalen Schwarzen ausgebrochen wäre. In dieser kritischen Phase traf ich Nelson Mandela zum ersten Mal.
In KwaXimba, einem armseligen Nest im Zululand, waren im März 1993 sechs Schulkinder massakriert worden, Opfer der Kämpfe zwischen Anhängern und Gegnern des ANC. Mandela fuhr in das abgelegene Dorf, um die Rachsüchtigen zu zügeln. Er kam ohne Leibgarde.
Die dunkelblaue Limousine hielt auf einem Feld am Ortsrand. Ein hochgewachsener, kräftiger Mann stieg aus, strahlte und ging mit lockerem Schritt auf die wartende Menge zu. Ganz vorn stand ein kleiner Junge, der gerade ein Eis lutschte. Mandela nahm ihn lachend auf den Arm, der Knirps schaute den Fremden unverwandt an. Ein magischer Augenblick.
Rundherum begannen Tausende Menschen zu tanzen: Toyi-toyi, den Stampftanz des Widerstands. Als Mandela die Faust hochreckte, schwoll der Jubel zum Orkan an.
Erst dann begrüßte er die Lokalhonoratioren und Parteifreunde. Als er mir mit den Worten „How are you today, Sir?“ die Hand gab, hatte ich den Eindruck, dass mir für wenige Sekunden seine ganze Aufmerksamkeit zuteilwurde.
Der Wahlkampf im April 1994 bot des Öfteren Gelegenheit, den ANC-Spitzenkandidaten in die hintersten Winkel der Republik zu begleiten. Die Stimmung war manchmal ausgelassen wie auf einer Klassenfahrt. Zur Begrüßung sagte Mandela: „Willkommen, ich frage mich, ob Sie wissen, wer ich bin.“ Oder: „Ich fürchte, Sie werden sich nicht an mich erinnern.“ Er kokettierte gern mit seinem
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