Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
Ruhm.
Wo immer er hinkam, glühten die Menschen vor Glück. Wenn er durch eine Menge schritt, öffneten sich Schneisen. Manchmal trat Mandela betont aristokratisch auf, er war an einem traditionellen Königshof erzogen worden. Aber schon im nächsten Moment wirkte er wieder volksnah, ein Held zum Anfassen. In den Townships, den Ghettos der Schwarzen, wurde er nur Madiba gerufen, das ist der Name seines adligen Clans.
Queen Elizabeth II., Bill Clinton, Michael Jackson, die mächtigsten Politiker und berühmtesten Künstler suchten Kontakt, um in Mandelas Glanz zu schillern. Man sprach von Madiba Magic, von seinem unwiderstehlichen Zauber.
Gestalt und Gangart. Mienenspiel, Gestik und Redeweise. Die Augen. Die Falten und Fäuste. Das heitere, weise Lächeln. Immer wieder wurde Nelson Mandela beschrieben, dennoch weiß man über seine Persönlichkeit recht wenig.
Was machte diesen Mann so furchtlos und unbeugsam? Woher nahm er die Zuversicht? Woher die Kraft zur Versöhnung? Warum haben ihn nicht Hass und Rachsucht zerfressen?
Der Schlüssel zu seinem Charakter liegt auf Robben Island, in einer kahlen Zelle, zwei mal zwei Meter eng, mintgrün gestrichene Betonwände, Lüftungsschlitz, Fäkalienkübel, Holzschemel, dünne Filzmatte. Durch das vergitterte Fenster fällt der Blick auf den Vorplatz, wo die Gefangenen Steine klopfen mussten. Ein trostloser Ort, auch heute noch.
Zwei einsame Fotos schmückten damals den Raum: ein Porträt seiner Frau Winnie und die Abbildung einer nackten schwarzen Schönheit von den Andamanen-Inseln, die Mandela aus einem Magazin gerissen hatte. Die Liebe und die Lust, zwei Sehnsuchtsbilder.
18 Jahre verbrachte er in dieser Zelle. Und dabei zog er die Mauer, die das weiße Regime um ihn errichtet hatte, unsichtbar immer höher. An ihr prallten alle Erniedrigungen und Beleidigungen ab. Die Mauer wuchs so hoch, dass niemand mehr darüberschauen konnte. In seiner Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit“ deutet Mandela an, dass das, was dort zu sehen wäre, nicht so wichtig sei. Er trat hinter die Sache zurück, für die er sein Leben lang kämpfte: die Überwindung der Apartheid.
„Ich tat es einfach, weil ich nicht anders konnte“, schreibt er in seinen Erinnerungen. „Es war diese Sehnsucht nach der Freiheit meines Volkes, in Würde und Selbstachtung zu leben, die mein Leben beseelte.“
Mandela empfand den Rassismus der weißen Herrenmenschen als schwere Kränkung. Er demonstrierte selbst in brenzligen Situationen seinen unerschütterlichen Stolz. Bei einer Straßenkontrolle brüllte ihn ein hellhäutiger Polizist in Afrikaans an, der Sprache der Buren: „Kaffer, jy sal kak vandag - Nigger, heute wirst du scheißen!“ Mandela konterte kaltschnäuzig: „Ich brauche keinen Polizisten, der mir sagt, wann ich scheiße!“
Der Häftling Nr. 466/64, mit 45 Jahren eingeliefert, mit 71 Jahren entlassen, überstand die Kerkerzeit, weil er nie an sich und seiner Mission zweifelte: „Wir betrachteten den Kampf im Gefängnis als Mikrokosmos des Kampfes insgesamt.“
„Er war der Inbegriff unseres Widerstands“, erzählte mir Indres Naidoo einmal, der als Häftling Nr. 885/63 zehn Jahre auf der Insel verbrachte. „Wir haben uns an Madiba aufgerichtet.“ Er sei eine natürliche Autorität gewesen, bewundert, aber wegen seiner moralischen Unerbittlichkeit auch gefürchtet. Und dennoch reinigte er wie jeder andere Insasse die Nachttöpfe von Wärtern und Häftlingen, wenn er dran war.
Das Gefängnisregime wandte alle Schikanen an, um ihn körperlich und seelisch zu brechen und, so Mandela, „jenen Funken auszutreten, der uns zu Menschen macht“. Als die Regierung erkannte, dass man diesen Baum nicht biegen kann, beschloss sie, ihn zu fällen. Ein Geheimagent sollte einen Ausbruch inszenieren, bei dem die Wachmänner den Flüchtigen hätten erschießen können. Die Gefangenen aber durchschauten den Plan.
James Gregory, ein Wächter, der Mandelas Briefe zensierte, erinnert sich, dass der Gefangene niemals Schwäche gezeigt und mit stoischer Selbstdisziplin Trauer, Schmerz, Zorn, Angst oder Bitterkeit verborgen habe. Die seelische Panzerung war seine Überlebensstrategie. Eines Tages aber schaute er in den Abgrund der Verzweiflung: Im Juli 1969, er trauerte noch um seine verstorbene Mutter, kam sein erster Sohn Madiba Thembekile bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Mandela durfte natürlich nicht zur Beerdigung. In der Rückschau auf sein Leben klagt er: „In meinem Herzen blieb
Weitere Kostenlose Bücher