Spiegelblut
die Halbseelenträger.
22. Kapitel
»Glaubst du, dass ich weiß, was ich tue?
Dass ich auch nur einen Atemzug lang
oder einen halben mir selbst gehöre? …«
JELALUDDIN RUMI, SUFI
Eloi war in Remos Gefangenschaft geraten. Der Cozalu-Clan hatte ihn gegen eine zweifelhafte Armandorma eingetauscht. Remo war gestern Nacht tatsächlich mit all seinen verfügbaren Lichtträgern und Vampiren angerückt – und da unter Faylins Gästen auch viele ranghohe Persönlichkeiten zugegen gewesen waren, hatte man sich auf diesen Kompromiss eingelassen. Remo besaß jetzt zwei Raumkrümmer – und ich war froh, dass mein Onkel diese seltene, wertvolle Gabe sein Eigen nennen konnte. Ich wusste, er war so lange sicher, bis ich – oder meine Kräfte – interessant genug für Damontez’ Seelenbruder waren. Obwohl ich es hasste, dass er mich allein dadurch an sich band, beschäftigten mich andere Dinge noch stärker.
Zum Beispiel die spiegelgleichen Bewegungen von Remo und Damontez, die mich so sehr an Pontus und mich erinnerten.
Ich stand zwischen dem langen Gardinenstoff und dem bodentiefen Fenster des Herrensaals. Es war der einzige Rückzugsort, um meine Gedanken zu sortieren. Damontez hatte zu meiner Sicherheit jede Tür mit zwei Lichtträgern gesichert, davor und dahinter. Er ging kein Risiko mehr ein – und er selbst war mein nächstes Problem. Es fiel mir schwer, es einzugestehen, aber etwas zwischen uns hatte sich verändert. So wie er früher seinen Seelenbruder vor dessen Verfehlungen geschützt hatte, versuchte er nun, mich vor allen Gefahren zu bewahren. Er würde seine Seele über mein Leben stellen. Wer konnte von sich behaupten, je so beschützt worden zu sein?
Jetzt sind es schwarze Narben, die in der Dämmerung und im Morgengrauen brennen. Bei jedem Lichtwechsel. Mein Herz wurde schwer, als ich daran dachte, wie sehr er gelitten haben musste. Ich konnte es nicht mehr leugnen: Ich hatte ihn gern. Vielleicht war es auch mehr. Hüte deine Seele, hatte Remo ihm gedroht. Bei Dorian war es nur Freundschaftn gewesen. Was war es jetzt? Liebe?
Es gibt Momente im Leben, die man im Strom der Ereignisse niemals vergisst. Sie bleiben in Bildern in der Seele, wie in Silber ziseliert. Als ich die Augen schloss, waren da nur noch Damontez und ich.
Er hatte keinen Duft und keinen Atem. Seine Haut war kalt, und er würde mir vermutlich nie ein echtes Lächeln schenken können. Er besaß so wenig von dem, was menschlich war, dass es wehtat, überhaupt darüber nachzudenken. Aber vielleicht war es gerade das, was mich in seinen Bann zog? Seine Ernsthaftigkeit und seine Trauer, beides erinnerte mich stark an mich selbst. Der unüberwindbare Graben, dass er ein Vampir war und ich ein Mensch, interessierte mich nicht. Warum sollte ich an morgen denken, wenn gar nicht sicher war, ob es das jemals für mich geben würde? Die heutige Nacht hatte gezeigt, wie fragil, wie gläsern mein Leben war. In meinen Lieblingsopern starb man früh, aber dafür mit der unerschütterlichen Gewissheit, einmal im Leben wahrhaftig geliebt zu haben.
Ich trat hinter dem schweren Stoff hervor und zuckte erschrocken zurück, als ich Damontez wenige Meter entfernt von mir stehen sah. Man sah ihm die lange Nacht nicht an. Er hatte seine Haare zu dem akkuraten Zopf zusammengebunden, der ihn noch herrischer aussehen ließ. Er trug eine schwarze Hose und ein schlichtes, weißes T-Shirt. Nirgendwo an seinem Körper klebte das Blut des Kampfes, fast als hätte ich das alles nur geträumt. Ich dagegen hatte mich weder gewaschen noch gekämmt und steckte in einem wirklich kurzen Rüschennachthemd mit Lochstickerei von Olivia. Mir wollte ein Hi oder Hallo über die Lippen, aber jedes Wort erstarb angesichts meiner Erinnerung an die letzten Stunden mit ihm.
»Wir müssen über diese Nacht reden, Coco.«
Ich nickte. Im Auto hatte ich mich nur an ihn gelehnt und die Augen geschlossen. Und im Sanctus Cor angekommen, war ich in den Herrensaal verfrachtet, mit Essen und Trinken versorgt und schließlich allein – bis auf meine Wachen – zurückgelassen worden. Wenigstens ersparte er mir das Verlies.
»Ich nehme an, du kannst nicht schlafen.« Es war keine Frage.
Ich blinzelte konfus.
»Es ist kein Vampir hier. Die Lichtträger habe ich auch weggeschickt. Du darfst gerne antworten.«
Es konnte einen so verunsichern, wenn jemand kein Lächeln zeigte. »Ich bin müde, aber ich kann nicht schlafen.«
»Verständlich.« Damontez zog sich in die Mitte des Raums
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