Spiegelblut
mir je hätte vorstellen können. Sie waren wie zwei Dinge, die untrennbar zusammengehörten, wie ein- und ausatmen, Yin und Yang, zwei Pole einer Sache. Es schien vollkommen verständlich, dass bei dem Tod des Einen auch die andere Seelenhälfte verloren ging. Allein konnte sie nicht überleben.
»Man sagte mir, Faylin würde heute über Schottlands Zukunft verhandeln. Aber natürlich ist das sicher nicht der wahre Grund dieser Veranstaltung …« Remo und Damontez neigten beide den Kopf zur rechten Seite. »Kjell behauptet, das Mädchen, das du in deine Obhut gestellt hast, hätte seine Seele gespiegelt!«
Wieder vollführten sie ihre Bewegungen in absoluter Synchronizität, hoben die Hand und strichen sich über die Stirn. Wie Pontus und ich in der U-Bahn! »Wo ist sie, Damontez?«
»Ich weiß es nicht.«
»Schlechter Lügner, immer schon!« Remos Augen zuckten von links nach rechts. »Ich kann sie spüren, aber nicht sehen. Ich nehme an, du hast sie von einem Illusionisten tarnen lassen!«
Oha! Wer brauchte heute noch David Copperfield, wenn er einen Lichtträger der Illusion hatte. Ich sah an mir herunter, ich selbst spürte gar keine Veränderung.
»Such sie doch!«, schlug Damontez vor. Sein Gesicht blieb ernst. Kein Lächeln.
»Ihr Blut ist stark.« Remo bleckte die Zähne und sein Kopf fuhr blitzschnell herum wie der eines Raubtiers, das den Duft seiner Beute einsog. Sein wachsamer Blick verfehlte mich nur um Haaresbreite, und ich trat schnell ein paar Meter zur Seite. »Ich nehme nicht an, dass du ihre Tarnung einem Novizen überlassen hast. Wenn es sogar einem ausgebildeten Lichtträger nicht gelingt, ihre Macht komplett zu verstecken, muss sie etwas ganz Besonderes sein! Ist sie ein Spiegelblut?«
»Ich weiß es nicht!«
»Ich bin ihretwegen gekommen, nicht deinetwegen, obwohl ich gespürt habe, dass du in Gefahr bist.«
»Du wolltest sie schützen?«
Ich riss meine Augen auf. Remo und mich schützen?
»Dein Begehren ist mein Begehren! Denk an Dorian und das, was damals passiert ist!«
Damontez schwieg. Tiefer Kummer schwärzte seinen Blick noch mehr. Als er seine Schultern straffte, reagierte Remo wie ein Spiegel. Ich musste mit Pontus sprechen!
»Hüte deine Seele, Damontez!« Alle Verbundenheit wich aus Remos Zügen, seine Lippen wurden zu einer harten Linie. Es kam mir vor, als würde er die feinen Gespinste seiner Seele, die zu Damontez drängten, willentlich zurückziehen. Seine Augen entglitten zu hasserfüllten Abgründen, in denen man vergeblich nach Mitgefühl suchte. »Bei Dorian war es nur Freundschaft.«
»Nur Freundschaft«, echote Damontez, als spürte er sie heute noch auf der Haut.
»Ich weiß nicht, was das Mädchen für dich ist, geschweige denn, was sie überhaupt ist! Aber ich kann eure Verbindung fühlen. Du stiehlst meine Seelenhälfte und meinen freien Willen. Ich bin nicht gekommen, um sie zu schützen.«
»Wieso dann?«, flüsterte Damontez. Er hatte Angst. Sie machte sein Gesicht weich und zärtlich, es tat mir weh, ihn so verletzlich zu sehen.
»Um dich zu warnen. Und natürlich, um Faylin in seine Schranken zu weisen.« Er klopfte sich ein wenig Schnee von dem Ärmel seines schwarzen Hemds. Damontez’ Hand zuckte zu derselben Stelle bei sich, aber er hielt im letzten Moment inne.
»Du wirst stärker, siehst du?« Wieder ruckte Remos Kopf unvermittelt in meine Richtung. Diesmal hatte ich das Gefühl, er sähe direkt in mich hinein, bis zur Seele und zurück. Seine Augen waren noch lichtleerer als die von Damontez – oder kam es mir nur so vor? Ich machte einen kleinen Satz hinter Damontez’ Rücken und spähte vorsichtig nach vorne. »Du hast gelernt, meinen Gefühlen zu widerstehen, aber ich kann mich nicht gegen deine schützen. Vor allem nicht, wenn sie so … leidenschaftlich und stark sind.«
Leidenschaftlich und stark?
Verwirrt machte ich wieder einen Schritt zur Seite, um Damontez anzusehen.
»Dann solltest du das vielleicht auch Jahrhunderte lang üben.« Ich beobachtete Damontez, wie er Remo ansah. Es war mir nicht klar, ob er ihn verachtete, mochte, sich in ihm fand oder verlor.
»Du weißt, was passiert, wenn du deine Seele nicht im Zaum hältst. Ich werde das Mädchen töten oder in mein Anwesen bringen lassen, um sie selbst zu lieben.«
Alles, nur das nicht! Dieser Vampir ließ die gleiche Angst in mir auferstehen wie Draca. Unter seinem Blick würde ich zu einem Nichts verbrennen. Er würde mir meinen Willen nehmen, mein Blut
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