Spiegelblut
zurückhalten. Dann warf er den Kopf in den Nacken, riss sich in einer einzigen Bewegung das T-Shirt vom Leib und sprang mehrere Meter nach vorn. Einer der großen Ohrensessel kippte nach hinten und krachte auf das Holz. Ich rannte hinterher und fand ihn auf allen vieren und komplett verwandelt. Sein Oberkörper zuckte, als würde er von hundert herabsausenden Peitschen getroffen. Sein Rückgrat krümmte sich vor Schmerz, erst in dem Moment entdeckte ich das volle Ausmaß seiner Qual: die schwarzen Narben auf der hellen Haut, die sich quer über seinen ganzen Rücken zogen und jetzt flackerten, als bräche das alte Feuer des Lichts hindurch. Er hämmerte seinen Kopf auf den Boden, bis die Haut aufplatzte und mit dem Stirnreif wie eine blutige Dornenkrone aussah.
»Shht!« Ich wusste nicht, was ich tat. Ich sank neben ihn, legte meine Hand beruhigend auf seine Schulter, an eine Stelle, die nicht gezeichnet war von der schrecklichen Folter. Und noch einmal krachte seine Stirn unkontrolliert auf das Parkett. »Es tut mir leid«, sagte ich immer wieder, als mir klar wurde, wer die Schuld an diesen Schmerzen trug. Wäre ich nicht so dämlich gewesen, an der Gardine zu ziehen, hätte er nicht nach vorne preschen und mich in Sicherheit bringen müssen.
»Nur der Lichtwechsel«, flüsterte ich und ließ meine Hand vorsichtig an seiner Schulter den Arm hinabgleiten. Ich scheute den Blick auf die klauenbewehrten Finger, die mir in Sekundenschnelle die Haut vom Leib reißen konnten. »Nur der Lichtwechsel!« Er selbst war so kalt im Vergleich zu der Hitze, die von den Narben abstrahlte. »Es geht vorbei, so wie das Morgengrauen und die Dämmerung.«
Er stöhnte gequält auf. Ob des Schmerzes oder der Enthüllung, dass ich mehr wusste, als ich preisgegeben hatte, konnte ich nicht sagen. Noch immer wand und verdrehte er seinen Körper, als wären Hände und Füße gefesselt und ihm die Chance zur Flucht verwehrt. Ich kam mir so hilflos vor.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll, außer bei dir zu sitzen«, sagte ich leise. Sein Anblick machte mir Angst, noch nie war er so unkontrolliert gewesen, ich konnte nicht abschätzen, was er tun würde. Aber ich konnte ihn nicht allein lassen. Jetzt nicht mehr. »Es geht vorbei. Ganz bestimmt.«
Mein helles Licht flackerte in mir, wie immer, wenn meine Gefühle Purzelbäume schlugen. Konnte ich ihm damit helfen? Vorsichtig öffnete ich mich meiner Kraft. Knistern, ein leichtes Kribbeln und schon glänzte das silbrige Transparent in meiner Mitte. Mittlerweile hatte ich es ein wenig besser unter Kontrolle, doch gegen die Gewalt, mit der die Bilder und Worte auf mich herabschossen, war ich machtlos.
Ich will Dorian sehen! Du kannst es mir nicht verbieten. Wo hast du ihn versteckt? Zeig ihn mir …
Plötzlich begriff ich, dass es Remos Seelenanteil war, den ich spiegelte. Damontez’ Seelenhälfte war am rechten Platz, also fing ich die ein, die ihm fehlte. Ich spürte einen zarten, silbernen Strom von mir zu Damontez fließen. Ich kniff die Augen zusammen, folgte den Bildern, die sich mir zeigten, und nahm wie durch einen Schleier wahr, dass die Krämpfe, die Damontez schüttelten, schwächer wurden. Mit der Hand auf seinem Arm ließ ich mich treiben, ungeachtet des Gedankens, dass Remo vielleicht merken könnte, was ich tat.
Ich schob mich aus dem Blickwinkel eines anderen an Damontez vorbei. »Soll ich mit meinem Lichtträgerstab zurückkommen?«
»Du tust ihm nichts, oder?« Das Gesicht des schwarzhaarigen Halbseelenträgers lag im Dunkeln, ich erkannte trotzdem den gefährlichen Funken Hoffnung.
»Meine Begierde ist deine. Mit Freundschaft ist es ebenso.«
»Begierde und Freundschaft sind so verschieden wie Licht und Schatten.« Damontez verstellte Remo den Weg.
»Wie hieß dieses Mädchen mit dem hellroten Blut? Wie Granatapfelsaft, hast du gesagt. Melina, nicht wahr?«
»Ich habe sie nicht geliebt.«
»Wie könntest du das wissen, wo wir doch dieses Gefühl gar nicht kennen?« Remo lächelte hintergründig. »Du hast sie begehrt. Ich habe sie begehrt. Das ist unser Fluch. Und jetzt bring mich zu ihm!«
»Du warst vielleicht mal ein Königssohn, Remo-Eliano, aber mittlerweile bist du gar nichts mehr – nur noch ein Seelenloser, im Geiste zumindest. Ich muss dir und dem Königshaus nicht mehr gehorchen. Ich stehe nie wieder für deine Verfehlungen ein.«
»Oho! Große Worte. Verfehlungen, gehorchen, Königssohn. Ein altes Leben, vergangen.« Seine Zungenspitze züngelte
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