Spiegelblut
soll ich tun?« Mir stockte der Atem. Seine Nähe löste einen Sturm von Empfindungen aus: Angst, Aufregung, Herzrasen. Der Geschmack von Johannisbeere überzog meine Lippen. Dort, wo seine Finger meinen Kopf nach oben gezogen hatten, prickelte die zarte Berührung noch immer.
»Du solltest mich nicht so ansehen, wie du es vorhin getan hast«, sagte er rau.
»Okay«, wisperte ich und strich zaghaft über seine Haarspitzen, die knapp oberhalb der Schlüsselbeine auflagen. Weich wie Seide. Wie die Nacht in meinen Händen, so viele Farben der Finsternis, so verlockend. Sehnsuchtsvoll griff ich hinein, nicht sanft, sondern fest und begehrlich.
»Und auch das solltest du nicht tun«, sagte er leise und umschloss meine Finger. Ein Zittern lief durch meinen Körper wie ein elektrischer Impuls. Ich konnte gar nicht mehr klar denken. Ich drängte mich ihm entgegen, wand meine Hände aus seinen und legte sie auf seine Schultern, zog ihn an mich.
Was ist los mit mir? Er ist ein Vampir. Ich bin ein Mädchen. Ich will ihn. Ich will ihn nicht. Doch, ich will ihn.
Ich hob den Kopf, mein Blick glitt über seine langen Wimpern, die hohen Wangenknochen, die Härte seines Gesichts, die nur seine Verletzlichkeit verbarg, und blieb an den Lippen hängen. Mein Zeigefinger fuhr darüber, einmal, zweimal. Sie waren glatt, trocken und kühl wie seine Narben, wenn sie sich zurückbildeten.
So viele Empfindungen schossen durch mich hindurch. Aber das größte und stärkste war glühendes Begehren. Gefolgt von einem Schmerz, der flackerte und brannte, als hätte man Packeis angezündet.
»Coco-Marie!« Seine Stimme war Jahrhunderte entfernt. Ich strich um ihn herum, eine Hand an seiner Hüfte, umschlang ihn von hinten und atmete in seinen Nacken. In meinen Adern tanzten die geheimnisvollen Klänge der Nacht, eine tiefe, schwere Musik.
Auf den Zehenspitzen balancierend öffnete ich die Lippen, ließ sie über seine kalte Haut im Genick streichen. Ich befand mich in einem Land jenseits meiner Vorstellungskraft, fremd und verführerisch wie der Orient, bunt und doch dunkel, mit einem winzigen Hauch Melancholie. Meine Hände tasteten sich über die Flanken zu seinen Oberschenkeln.
»Coco-Marie!«
Wieder nach oben, unter sein Shirt und hin zu seinem Nabel. Mit brennenden Fingern zog ich Spiralen auf der kühlen Haut, von innen nach außen, unten nach oben, verlor mich in den Kreisen, so wie ich mich in diesem Moment an ihn verlor. Meine Lippen folgten dem Muster meiner Hände, glitten sanft zu der Biegung zwischen Hals und Schulter, verharrten dort, während meine Finger mit den Nagelspitzen um seine Brustwarzen kreisten. Der Geschmack von Chili und Zimtblüten klebte an meinem Gaumen, und der von Muskat. Überrascht hielt ich inne.
Da war noch viel mehr als Begehren. Zurückhaltung, Beherrschung, Wildheit und Angst. Die Mischung war schwindelerregend berauschend, stieg mir in den Kopf wie süßer Wein und pulsierte in meinen Adern. Wieder spürte ich den Drang, seine Kontrolle zu brechen. In einer katzenhaften Bewegung drehte ich mich nach vorn, packte sein Gesicht mit den Händen, kam ihm ganz nah … mein Begehren trug mich wie auf einem fliegenden Teppich durch die Schönheit von Tausendundeiner Nacht. Ganz kurz blähten sich seine Nasenflügel auf, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt.
Im nächsten Moment übernahm er die Kontrolle und ich fand mich an die Wand gedrückt wieder, sein Gesicht dicht an meinem. Unsere Lippen berührten sich fast. Mein Atem brach sich auf seiner Haut, strömte warm zu mir zurück.
Er hatte meinen Nacken gepackt wie damals am Kamin. Ich kam mir vor wie ein Katzenjunges, das sich zu weit nach vorne gewagt hatte und jetzt eingefangen worden war.
»Nein«, sagte er nur. Er hatte sich vorgebeugt und war beinahe auf Augenhöhe. Warum hielt er eigentlich meine Hände hinter dem Rücken fest? Wieso ging sein Blick so unstet von meinen Augen zu meinem Puls an der Kehlgrube?
Ich atmete tief durch. Mein Herz jagte, meine Knie zitterten. Bevor ich begriff, dass ich Angst hatte, war er schon auf Abstand gegangen. Der Rausch fiel von mir ab, als hätte er meinen Kopf in eiskaltes Wasser getunkt.
»Nein!«, sagt er noch einmal – und es war eindeutig ein Befehl.
»Was war das?«, stammelte ich und fuhr mit den Händen über das Gesicht. Es war heiß und feucht. Plötzlich schämte ich mich dafür, ihn angefasst zu haben.
»Vielleicht sagst du es mir?«
Ich konnte seiner Mimik unmöglich entnehmen, was er
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