Spiegelblut
dachte. Trotzdem wusste ich es irgendwie. Er war enttäuscht. Da gab er sich seit Wochen solche Mühe, mich ihn hassen zu lassen, mich nicht zu begehren. Selbst mein Blut hatte er scheinbar leidenschaftslos getrunken, und das auch nur, um mich zu schützen. Ständig nahm er sich zurück, seine Natur als Vampir zurück, nahm Remo zurück. Und ich verlor in meinem Kerker die Kontrolle und fiel nahezu über ihn her. Warum? Ich konnte es mir gar nicht erklären. Oder doch? Was bedeutete es eigentlich genau, ein Spiegelblut zu sein?
»Ich muss dir etwas sagen«, flüsterte ich hinter meinen Händen und spähte durch die Finger in sein Gesicht. Er nickte, nichts verriet ihn. Nur das Zucken in seinem linken Mundwinkel zeigte, dass ihn die ganze Situation nicht so kalt ließ, wie er tat.
»Das eben, das war nicht ich, oder?«
Er nickte wieder. Er wusste es schon. Er wusste es! Seit wann?
»Ich bin ein Spiegelblut!« Ich machte einen unsicheren Schritt auf ihn zu und hoffte, er würde mich nicht zurückweisen. »Ich habe meine dritte Kraft entdeckt, als du mit Faylin gekämpft hast.«
»Deine dritte?« Ein deutlicher Unterton von Missbilligung schwang in dieser Frage mit.
»Es tut mir leid.«
Er kam nicht näher.
»Du hast es gewusst, oder?« Ich konnte nicht sagen, ob ich darüber frustriert war oder nicht. Wieso hatte er nichts gesagt?
»Schon seitdem ich dein Blut genommen habe. Es gab keine andere Erklärung für meine Empfindungen.«
»Aliquid Sanctum?« Oder wie auch immer sie es nannten.
Er sah mich nahezu schmerzlich an, es war jedes Mal wieder wie ein Wunder, wenn er eine Emotion zeigte, mal abgesehen von der Qual, die er während des Lichtwechsels durchstand. »Ich habe es befürchtet, nicht sicher gewusst. Es war wie …« Er hob fast hilflos die Arme an, als hätte er keine Worte. »Stell dir vor, du hättest die Macht, Himmel und Erde zu schaffen, die Morgenröte und die Dämmerung durch deine Kehle rinnen zu lassen. Farben brennen in dir, du nimmst sie nicht wahr, du bist die Farbe. Du bist das Feuer und der Stoff, den es verzehrt, du bist alles zur gleichen Zeit. Es gibt keine Grenzen.«
»So war ich für dich?«, fragte ich ein wenig atemlos. Ich sollte mein Blut selbst einmal versuchen. Es klang – verlockend!
»Nein, es war wie ein Echo von all dem. Denn wäre es so gewesen, hätte ich dich vermutlich getötet.«
»Du hättest mich …«
»Keine Selbstbeherrschung ist grenzenlos, Coco-Marie. Auch meine nicht.«
»Aber dann … wenn mein Blut mit meiner Macht jetzt stärker wird … was ist denn vorhin passiert?«
»Du hast mein Begehren gespiegelt. Mehr nicht.« Er stützte sich wieder lässig an die Wand. Ganz sicher bemühte er sich, Remos Seelenanteil für seine guten Gefühle für mich außen vor zu lassen.
»Dein Begehren?« Hey, Erde an Coco! Du bist doch kein Papagei! Ich hatte sein Begehren mit meiner Spiegelsicht gefühlt. Chili, Zimtblüten, Tausendundeine Nacht – wobei, es war nicht nur alles sein Begehren gewesen.
»Als Spiegelblut reflektierst du sehr viel stärker als andere die Dinge, die du liebst.« Er musterte mich eindringlich, aber es gefiel mir nicht. Zu viel Verlangen blitzte mir aus den dunklen Schattenaugen entgegen. »Schon als du mich im Schlossgarten mit der Geste nachgeahmt hast, hat sich mein Verdacht erhärtet. Erst das Blut, dann das Spiegeln der Bewegung.«
Hatte ich Pontus deswegen in der U-Bahn nachgemacht? Doch ihn liebte ich nicht, er war mir nur so unerklärlich vertraut.
»Und jetzt reflektierst du sogar schon meine Gefühle, mein Verlangen nach dir.« Er kam ein bisschen auf mich zu. Ich zwang mich, stehen zu bleiben. Himmel, er hatte mich so oft beschützt. Er würde mir niemals Schaden zufügen. »Aber Begehren ohne Liebe ist rücksichtslos«, fuhr er fort. »Wie sehr, hast du eben in Ansätzen selbst zu spüren bekommen.«
»Wie kannst du denn kontrollieren, wann du Remos Seelenanteil benutzt und wann nicht?«, fragte ich wirklich interessiert. »Oder einfacher: Wie kannst du dich emotional vor mir verschließen und deine Gefühle für mich zurückdrängen?«
»Wie gesagt, es ist schwer. Ich muss mich sehr stark auf unsere anderen Gefühle einlassen. Allerdings habe ich das seit Jahren nicht mehr getan. Im Gegenteil. Ich habe alles versucht, um ihnen zu entgehen …«
»Der Begierde scheinst du laut Glynis nicht erfolgreich entgangen zu sein«, zog ich ihn auf und dachte an seine Leidenschaften.
Er sah mich intensiv an. »Sein Begehren mit
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