Spiegelblut
verweigert. Deine Körpertemperatur bewegt sich konstant Richtung 42 Grad. Wenn du heute nichts trinkst, wachst du morgen nicht mehr auf.« Sie griff um mein Kinn, grub ihre Finger in meine Wangen und trichterte mir den Tee gewaltsam ein.
»Es tut mir leid, Coco-Marie. Aber es gibt keinen anderen Weg als diesen.«
Ihr kalter, grüner Blick bohrte sich direkt in meinen. Ich schloss die Augen, versuchte, die Flüssigkeit auszuspucken, und verschluckte mich prompt. Ich hustete, wollte mich aufrichten, doch sie drückte meinen Kopf zurück in das Schaffell. Das Pulsieren hinter meiner Stirn nahm zu, gleichzeitig rollte eine Welle Panik über mich hinweg. Anstatt mir zu helfen, goss sie immer mehr Tee in meinen Mund. Mein Hustenreflex erstarb binnen Sekunden und wich einem verzweifelten Röcheln. Meine Hände wollten ihr die Tasse aus der Hand schlagen, aber sie blieben wie festgeklebt auf dem Fell liegen.
»Du sollst trinken«, zischte sie mir zu. »Ich habe ihm versprochen, dass du trinkst! Was kann ich dafür, wenn du dabei erstickst!«
Noch mehr Tee. Meine Luftröhre lief voll wie ein aufgeschlitztes U-Boot. Ich konnte nicht mehr husten. Sie würde mich hier im Trockenen regelrecht ertränken. Ich hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass sie mich so dringend loswerden wollte.
Plötzlich geschah etwas Sonderbares. Mein Blickfeld wurde dunkler, erst dachte ich, es wäre der Sauerstoffmangel, doch dann spielte eine unheimliche Musik in meinen Ohren. Sie klang so schrecklich, als spie jemand mit letzter Kraft sein Leben aus. Glynis’ Kopf war nicht weit von meinem entfernt. Ihre Smaragdaugen weiteten sich, ihre Pupille drängte die Iris zurück und das Schwarz zerfaserte in dem Weiß des Augapfels. Die Enden wanden sich wie gespaltene Schlangenzungen hinaus, fraßen sich durch ihr Gesicht und krochen mit finsteren Mäulern bis zu ihren Lippen.
»Deine Augen …«, wollte ich stammeln, aber ich gurgelte nur den Tee nach oben und musste wieder husten.
Glynis war der Becher aus den Fingern geglitten. Die Schlangen leckten an ihren Lippen. Glynis öffnete den Mund, ich dachte, sie würde fauchen, doch da war nur ein heller Rauch, der aus ihrem Inneren kam. Er war weder kalt noch warm, er hatte überhaupt keine Temperatur, er war nicht beschreibbar. Selbst in Spiegelsicht konnte ich ihn nicht fassen. Schlagartig wusste ich, was es bedeutete, woher ich mit einem Mal die Kraft hatte zu sprechen, wusste ich nicht.
»Du verlierst deine Seele«, wisperte ich. »Ich kann es sehen.«
»Was sagst du da?« Glynis kreischte auf, starrte auf den Becher am Boden – sie nahm ihn und warf ihn in den Kamin, als wäre er verhext. Sie packte mich an der Kehle. Immer noch züngelten ihre Pupillen als diabolische Kreaturen bis zu ihrem Mund. War das nur meine Spiegelsicht oder passierte das wirklich?
»Du«, zischte sie böse. »Ich habe es ja gewusst!« Sie schüttelte hektisch den Kopf, ihre Haare flogen um ihr Gesicht. »Und er will alle glauben machen, du seist nur sein Blutmädchen! Keine Sekunde lässt er dich unbewacht! Keine Sekunde«, ihre Finger spannten meinen Kehlkopf wie in eine Schraubzwinge, »die er nicht mit dir verbringen will. Wer zur Hölle bist du, Coco Lavie?«
»Ich …« Der Druck auf meinem Hals würgte alle Worte ab. Mit Entsetzen stellte ich fest, dass der helle Rauch wieder in sie hineinglitt wie ein tiefer Atemzug. Die schwarzen Schlangenkörper peitschten zurück. Die faserige Pupille rundete sich und zog sich auf Stecknadelkopfgröße zusammen.
»Wer bist du?« Sie gab meinen Hals frei, um mir das Sprechen zu ermöglichen.
»Ich weiß es nicht«, stieß ich heiser hervor.
»Wenn ich genarrt werden will, gehe ich zu einem Lichtträger der Illusion, Mädchen. Wer bist du?« Sie machte Anstalten, wieder meine Kehle zu packen.
»Du kannst mich nicht töten, ohne deine Seele zu verlieren.« Ein erleichtertes Lächeln glitt mir über das Gesicht. »Du kannst mich nicht töten, ohne mich leiden zu lassen – du hasst mich zu sehr.«
»Bedauerlicherweise hast du zu oft den Tee verweigert, sonst würdest du jetzt schon zusammen mit all den aufgeblasenen Cherubinen um die Wette trällern. Ein völlig schmerzloser Tod – ohne Leid.«
»Du wolltest mich vergiften«, flüsterte ich tonlos. Deswegen war es mir permanent schlechter gegangen. Seit zwei Tagen verweigerte ich das Trinken und seit diesen zwei Tagen hatte ich nicht mehr ununterbrochen geschlafen.
»Damontez hat andere Aufgaben. Du
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