Spiegelblut
brach ab und fasste mit einer kalten Hand auf meine Stirn. »Du musst trinken.«
Ich wollte nicht trinken, ich wollte schlafen. Ich zwinkerte benommen. Was hatte er mir eben sagen wollen? Ich kam mir vor wie unter Drogen. Flammen züngelten vor meinen Augen, prasselten mir Wärme entgegen. Ich lag im Herrensaal vor dem doppelten Kamin auf einem riesigen, weißen Schaffell. Das Knacken des Holzes war wie ein beruhigendes Flüstern.
»Trink!« Damontez schob eine Hand unter meine Wange und half mir, den Kopf oben zu halten, was schwierig war, da ich auf der Seite lag. Er steckte mir einen Strohhalm in den Mund. »Vorsicht, der Tee ist heiß!«
Ich sog etwas Flüssigkeit ein. Meine Lippen waren taub, die Hälfte des Getränks lief mir aus dem Mund über das Kinn und von dort in seine Hand.
»Mehr.«
Noch einmal dasselbe. Es schien ihm nichts auszumachen, dass ich den halben Tee in seine Hand spuckte, und ich war viel zu geschwächt, als dass es mir peinlich gewesen wäre. Außerdem war es allein seine Schuld!
»Noch ein bisschen.«
Der Tee schmeckte scheußlich, ich nahm nur ganz wenig. Die trockene Hitze des Kaminfeuers tat so gut. Mein Gesicht kribbelte, vor allem meine linke Wange, die auf seiner kühlen Hand lag und noch nicht ganz so durchwärmt war wie der Rest. Ich schloss die Augen, während ich schlückchenweise trank. Hinter meinen Lidern erblühte in Spiegelsicht ein neues, karmesinrotes Bild von Schlaf und Wärme.
Irgendwann musste ich zwischen zwei Schlucken mit dem Kopf in seiner Hand eingeschlafen sein. Nur sehr vage bekam ich mit, wie er den Strohhalm aus meinem Mund zog und mich vorsichtig auf das Lammfell zurücksinken ließ.
15. Kapitel
»Man fügt Liebe hinzu,
und alle Grenzen zwischen richtig und falsch
drohen zu verschwinden.«
JODI PICOULT, Schuldig
Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich daran zu erinnern, wo ich mich befand. Das Feuer vor mir knisterte und warf glimmende Funken über die gestapelten Holzscheite. Als ich den Kopf zur Decke drehte, schoss mir ein stechender Schmerz in die Augenhöhlen. Ich wollte die Hand auf meine Stirn legen, aber das Ergebnis war nur ein kurzes Zucken meiner Finger, als übte ich Gitarrengriffe. Irgendwann wurde ich mir der zwei Stimmen bewusst, die sich leise unterhielten.
»Du kannst dich jetzt nicht derart zurückziehen. Deine Strategie ist gefragt. Man macht sich Sorgen.« Mir wurde übel. Das war die Stimme der rothaarigen Vampirin. »Es ist dein gutes Recht, dir ein Mädchen zu nehmen – und mir persönlich ist es auch egal, was du mit der Kleinen anstellst –, trotzdem solltest du deswegen nicht deine Pflichten vernachlässigen.« Sie hielt kurz inne. »Wie geht es ihr eigentlich?« Warum hörte es sich nur so an, als hoffte sie, ich würde nie wieder aufwachen? Ich versuchte, mich herumzudrehen, um die beiden zu beobachten, doch ich schaffte es nicht.
»Ihr Fieber steigt stündlich.« Damontez klang ratlos und unüberhörbar besorgt.
»Du hättest ihr in dieser Winterkälte nicht so viel Blut nehmen dürfen.« Jetzt schlug sie einen mütterlichen Ton an. »Sie ist keine von uns.«
»Das war ein Fehler, ich weiß. Ich habe die Kälte nicht bedacht.«
»Mach dir keine Vorwürfe. Sie war es, die sich nicht an die Regeln gehalten hat. Sie muss noch viel lernen.«
»Ja, das muss sie.« Er schien resigniert.
»Menschen kannst du zum Fiebersenken Holunderblütentee geben«, hörte ich sie sagen. »Oder auch Tee aus Lindenblüten. Und am besten legt man ihnen feuchte Tücher um die Waden.«
»Ich habe ihr bisher nur Tee zur Blutbildung gegeben.«
»Dann scheint ihr Blut wohl besonders gut zu sein …« Ich konnte nicht einschätzen, ob sie ihn necken wollte oder ob sie sich ärgerte.
»Lass das doch, Glynis!«
»Du musst auf jeden Fall mindestens eine Woche warten, bevor du wieder von ihr trinkst.«
»Ja, natürlich.«
Wieder?
»Mit allen anderen Dingen solltest du ebenfalls warten. Mit Menschenmädchen musst du sowieso viel vorsichtiger sein. Du darfst sie nicht öfter als …«
»Glynis!«
»Vielleicht«, ihre Stimme fiel um mehrere Töne, »könnte ich dir ja so lange aushelfen?« Sie flüsterte etwas, das ich nicht verstand und lachte definitiv aufreizend.
»Ich komme bestimmt auf dein Angebot zurück. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich glaube, sie ist wach.«
Woher wusste er das?
»Damontez?« Eine Tür öffnete sich knarrend. »Ich lasse ihr einen Tee zum Fiebersenken aufbrühen und sorge für kalte Tücher. Wenn du
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