Spiegelblut
Reifen schnappten auseinander wie Meeresfrüchte.
»Sind das Fesseln?«, fragte ich misstrauisch.
»Das ist ein Blutschutz für mein Blutmädchen.« Das kalte Metall schloss sich mit einem Klicken eng um meine Kehle. Die beiden anderen Reifen zierten kurz danach meine Handgelenke – mit die beliebtesten Trinkstellen eines Vampirs, wie Damontez mir beiläufig erklärte.
Mit großer Sorgfalt kontrollierte er anschließend den Reif an meinem Hals, prüfte, ob er zu fest oder zu locker saß, und gab sich erst nach einer Minute zufrieden. Trotz meines Schamgefühls rührten mich seine Bemühungen um mein Wohlergehen fast ein bisschen. Zum ersten Mal fragte ich mich, wer er wirklich war und wie man ein Leben mit einer halben Seele ertragen konnte.
Er griff nach meinem rechten Handgelenk. Ganz kurz begegnete sich unser Blick. Was immer er in meinen Augen fand, ob Verständnis oder Mitgefühl, er reagierte darauf mit einem irritierten Blinzeln, seine Lippen öffneten sich leicht. Verwirrt wollte ich mein Handgelenk zurückziehen.
»Es sitzt fest genug«, stammelte ich verunsichert.
Er gab mich nicht frei und blickte mich unverwandt an. Blauer Mondwind blies in mein Gesicht, während der Duft der Silbersterne auf meinen nackten Oberarmen brannte. Ich kam mir vor, als hätte man über uns eine Glasglocke gestülpt, unter der sich die Hitze einer glutroten Sonne staute. Meine Wangen fieberten immer heißer, prickelten, als würde Meersalz darauf verdunsten. Farben, für die ich keine Namen hatte, schillerten vor mir in der Luft.
»Das entscheide wohl besser ich.« Sanft schob er den Reif im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten hin und her, und überall, wo seine Finger meine Haut berührten, war es, als würden kühle Wasserbläschen aufplatzen.
»Der sitzt perfekt, jetzt noch der andere.«
Als er mein rechtes Handgelenk losließ, streckte ich ihm freiwillig mein linkes entgegen. Er umfasste es sachte und die neuen Farben und das Prickeln tränkten meine Sinne, bis mir schwindelig wurde. Er schob den Reif hin und her, ohne den Blick von meinem Gesicht zu nehmen. Zum ersten Mal machten mir seine Augen keine Angst mehr.
»Der linke sitzt auch fest genug.« Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ er mich los. Meine Lider sanken herab. Mein Herz klopfte viel zu schnell, und das nicht vor Furcht. Was waren Silbersterne und Mondwind? Waren es wirklich Gefühle? Ich spürte sie immer nur in besonderen Momenten. Und jedes Mal war er dann ganz anders.
»Wenn du dich an alle Regeln hältst, kommen wir vielleicht unbeschadet durch diese Nacht«, sagte er schließlich.
»Wir?«, hakte ich nach und sah zu ihm auf. Immer noch war der Duft um uns herum.
»Du und ich.« Er seufzte. »Aber gerade eben verstößt du wieder gegen jede Regel.«
»Wieso denn du?«, beharrte ich und nahm wenigstens den Kopf nach unten.
»Weil ich dich auf gar keinen Fall kampflos den Seelenlosen überlasse.«
»Aber … aber wenn dir etwas passiert, wenn du stirbst, verlierst du doch deine Seele«, stammelte ich entsetzt. Bei all meiner Angst vor dieser Nacht war es mir bisher noch gar nicht in den Sinn gekommen, was für ihn selbst auf dem Spiel stand. Ich fürchtete mich vor dem Tod, obwohl ich um die Unsterblichkeit der Seelen wusste, ich wusste mehr als all die anderen Menschen und hatte trotzdem so große Angst. Aber er, er würde sterben und vergehen. Nichts von ihm würde bleiben und doch stand er hier und sorgte sich um mich.
»Bislang habe ich noch keinen Kampf verloren, Coco-Marie. Und so soll es bleiben. Außerdem wird es keiner wagen, mich in der Öffentlichkeit zu töten. Dafür ist Remo zu mächtig«, sagte er jetzt. »Wenn man mich loswerden will, geschieht das in aller Heimlichkeit.«
»Ist Remo seine Seele egal?«, fragte ich leise.
»Er weiß, dass ich darauf achtgebe. Doch irgendwann wird der Tag kommen, an dem sie nur einer von uns erhält, der Tag, an dem der Fluch bricht.«
»Aber selbst wenn er sie bekommen würde, könnte er sie nicht halten, oder? Er würde sie bei seiner nächsten grausamen Tat verlieren.«
»Das stimmt. Er könnte sie nicht halten. Sollte er allerdings ein Spiegelblut besitzen, könnte ihm das ja seine Seele wiederholen, verstehst du?«
Ich nickte und begriff, warum ich für Remo ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Wert besaß – falls ich eine Spiegelseele wäre. Noch ein letztes Mal atmete ich den Duft der Silbersterne, er wurde bereits schwächer.
»Bist du bereit?«
Ich nickte wieder.
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