Spiegelblut
aufschlitzen und das Blut heraussaugen?
»Sie ist immer noch so blass, Khea. Leg ein wenig mehr Rouge auf oder erzähl ihr noch mal ein bisschen was von der Liebe.« Die Vampirin lachte, aber es klang nicht spöttisch, sondern gutmütig. Wieder Gepinsel, prüfende Blicke, dann zwei zufriedene Gesichter.
»Gut, gehen wir in die Ankleide und stecken dich in dein Kleid«, sagte Ashlynn gut gelaunt.
Ich stand in mein Handtuch gewickelt auf und folgte ihr aus Kheas privatem Schönheitszimmer in einen lang gezogenen Raum, der nur aus hellen Schränken und weißem Teppichboden bestand.
»Du hast keine Spiegel?«, fragte ich erstaunt.
»Es gibt seit Jahrzehnten nur noch einen einzigen Spiegel im Sanctus Cor.« Sie lächelte kurz, fast ein bisschen wehmütig. »Seit dem letzten Spiegelblut.«
»Was ist mit ihm passiert?« Sie durfte ruhig wissen, dass ich den Begriff Spiegelblut kannte.
»Darüber wird im Sanctus Cor nicht gesprochen, tut mir leid. Aber du tust Damontez gut. Ich hätte nie gedacht, dass ein Blutmädchen so eine Wirkung auf ihn haben könnte. Lass Glynis nur reden …«
»Glynis? Was hat sie …?«
In diesem Moment kam Ashlynn mit dem Kleid zurück. Meine Augen weiteten sich. Kleid war nicht der richtige Ausdruck dafür. Es war ein Traum aus Seide, Chiffon und Glitzersteinchen. Das schönste, absolut schönste Kleid, das ich je gesehen hatte.
»Damontez hat es extra für dich anfertigen lassen«, erklärte mir Ashlynn mit einem Lächeln. »In einer Schneiderei in Paris.«
Trotz der Strenge ihres Gesichtes spendeten ihre braunen Augen Wärme – und Trost. Ich war überrascht, als ich merkte, dass sie mir durchaus sympathisch war. Sie hielt mir das Kleid hin und der Stoff floss wie von selbst durch meine Finger. Der Farbton changierte von blau hin zu violett, der Übergang war so fein, dass das Kleid bei flüchtigem Betrachten indigofarben wirkte. Oben war es eng geschnitten, mit kleinen, transparenten Ärmeln, die man auch über die Schultern gezogen tragen konnte.
»Es ist wunderschön«, flüsterte ich und strich über die Seide. Die aufgesetzten Steinchen schimmerten bei jeder Bewegung des weichen Materials. Ich musste schlucken. Immer wenn ich meine Opern hörte, malte ich mir insgeheim aus, wie es wäre, in den alten Kostümen auf einer Bühne zu stehen, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Es war eine absolute Ironie, dass ich nun so ein traumhaftes Kleid an einem Tag tragen musste, an dem mein Schicksal neu verhandelt wurde. Keine der beiden wusste das, sie hielten diesen Ball tatsächlich für eine Feierlichkeit zugunsten des Friedens.
»Die Steine sind Diamanten«, sagte Ashlynn jetzt und sah mich prüfend an. »Noch nie wurde ein Blutmädchen so ausstaffiert, auch wenn die Herren immer großen Wert auf die Erscheinung ihrer Blutsklavin legen.«
Sie hatte wahrhaftig Blutsklavin gesagt und dabei ausgedrückt, was sie selbst darüber dachte.
»Es muss ein Vermögen gekostet haben.« Ich wünschte, meine Stimme hätte nicht ganz so verzweifelt geklungen. Ich ließ den Stoff aus meinen Fingern zu Boden gleiten, als könnte ich mit dem Kleid auch gleichzeitig meinen Status zurückweisen.
»Ich helfe dir, es anzuziehen.«
Ich wickelte mich aus dem Handtuch und stieg in die Spitzenunterwäsche, die sie mir reichte, und von der ich hoffte, dass Damontez sie nicht ausgewählt hatte. Danach streifte sie mir den diamantenen Traum über den Kopf. Die Seide fiel an mir herab wie ein lichtdurchflutetes Gewässer. Ashlynn zog den Reißverschluss an der Seite zu und zupfte die zarten Ärmel zurecht. Es passte wie angegossen, und ich fragte mich, ob Damontez wohl in den Stunden meines Schlafs persönlich Maß genommen hatte.
»Oh Gott, ich kann es nicht glauben, ich kann es einfach nicht fassen!« Shanny und Myra hatten die Ankleide betreten und starrten mich mit weit aufgerissenen Augen an.
»Du siehst aus wie eine Märchenprinzessin!«, stieß Myra hervor, kam auf mich zu und fasste mich an den Händen.
»Ich fühle mich wie Maria Stuart vor der Hinrichtung«, sagte ich kläglich und strich über das Glitzerkleid.
»Maria trug aber ein schwarzes Satinkleid. Und dazu einen weißen Schleier und zwei Rosenkränze am Gürtel«, erklärte Khea ernst.
»Sie war dabei«, gab Ashlynn mir mit einem Augenzwinkern preis.
Sie waren so alt und erfahren. Vampire waren mir nicht nur hinsichtlich ihrer Kraft überlegen, sondern auch durch die Summe etlicher Lebenserfahrungen. Sie auszutricksen war quasi
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