Spiegelblut
provozierenden Unterton. »Aber wenn du ihr ein guter Lehrmeister warst, besteht ja auch keine Gefahr.«
Mein Kopf wurde so abrupt nach oben gezogen, dass ich es kaum schaffte, rechtzeitig die Augen zu schließen. Mein Kinn stach an der Stelle, wo Dracas Finger lagen und mein Magen rutschte irgendwo in Richtung meiner Knie.
»Braves, braves Nachtschattenherz«, flüsterte Draca, fast ein wenig ärgerlich.
Ein Raunen brandete durch den Saal wie eine Flutwelle, von vorne nach hinten und wieder zurück.
»Sie ist schön wie die Sünde, und doch trägt ihr Blut das Bouquet der Unschuld. Man könnte meinen, sie sei eine Weltwandlerin.«
Seine Worte gingen in einem bedrohlichen Knurren unter. Noch nie hatte ich einen so furchterregenden Laut gehört.
»Lass sie los, oder ich töte deine seelenlose Hülle, bevor du Armandorma flüstern kannst!« Damontez schlug Dracas Hand gerade so fest nach unten, dass ich nur leicht taumelte.
Sekundenlang war es totenstill, bis Faylin in Gelächter ausbrach. Es hatte etwas Entrückendes und vollkommen Wahnsinniges an sich. Ich stellte mir vor, wie er über das kleine Engelmädchen hergefallen war, und ballte die Fäuste.
»Ich sehe, es wird eine interessante Nacht, Brüder.«
»Es wird eine kurze Nacht für die, die ihr zu nahe kommen«, antwortete Damontez scharf. »Und ich besitze nur einen Bruder.«
Faylin wies unsere Begleiterin an, mich hinauszubringen, und Pontus schloss sich uns wie selbstverständlich an.
Faylin hielt ihn zurück. »Kein Vampir kommt in das Zimmer, in dem die Mädchen warten. Amybella wird bei ihnen bleiben, außerdem haben wir Lichtträger an allen Türen.«
»Dann werde ich ebenfalls an einer der Türen warten.« Niemand hielt Pontus auf, als er das Zimmer mit langen Schritten durchmaß. Als er die Tür schloss, hob ich den Kopf und legte mir die Hände in den schmerzenden Nacken. Vor mir reihten sich zwölf Mädchen in schillernden Kleidern auf Stühlen aneinander wie eine bunte Perlenkette, eines blasser als das andere. Ein Platz in der Mitte war noch frei.
»Setz dich und schweig«, wies mich die Vampirin harsch an. Mit ihrer voluminösen blonden Mähne, dem aufgebauschten Kleid und den zusammengekniffenen Lippen sah sie aus wie die sitzengelassene Stiefschwester von Cinderella.
»Damontez und kein anderer Vampir ist hier, ich kann reden, so viel ich will«, gab ich patzig zurück, setzte mich aber trotzdem auf den mir zugewiesenen Stuhl.
»Du bist im Palais weniger als ein Gast und überhaupt nur noch am Leben, weil du Damontez Aspertu gehörst«, belehrte sie mich. »Du solltest dich den Regeln des Hausherren unterordnen, wenn dir etwas daran liegt, dass auch alle anderen ungeschriebenen Gesetze eingehalten werden.«
Ich seufzte renitent, blieb jedoch still. Ich wollte Damontez keinen Ärger machen. Es würde mich, ihn und all seine Lichtträger unnötig gefährden. Schweigend ließ ich meinen Blick über die Mädchen gleiten, die mit gesenkten Köpfen auf ihre Füße starrten – wie zerbrechliche Porzellanpüppchen saßen sie da, ohne Willen und mit unlebendigeren Mienen als ihre Herren. Welche davon wohl Leslie war? Ich suchte eine Ähnlichkeit mit Shanny, vielleicht war es ja sogar ihre Cousine oder ihre Schwester, aber es war schwierig, das von der Seite zu beurteilen. Noch dazu hatte ich ein anderes, viel dringenderes Problem.
»Ich muss auf die Toilette«, sagte ich laut.
Cinderellas Stiefschwester murmelte etwas Lateinisches, das wie eine Verwünschung klang.
»Komm mit«, seufzte sie dann nur. Erst jetzt entdeckte ich die dritte Tür, zu der sie mich führte.
»Ich gehe nicht ohne Pontus!«
»Mach dich nicht lächerlich! Meinst du, irgendjemand würde vor dem Ball versuchen, Hand an dich zu legen?«
Da hatte sie fraglos recht. Sie würden sich kaum selbst um den Spaß bringen. Außerdem war Faylin viel daran gelegen, dass ich am Leben blieb, wenn ich ein Spiegelblut war.
Amybella wies mich in ein Bad, das so groß war wie ein Hamam, und ließ mich allein.
Obwohl sie gegangen war, sah ich nicht auf. Es konnten Spiegel an Plätzen hängen, an denen ich sie nicht erwartete. Sieben Jahre hatte ich widerstanden, ich würde den Abend nicht dazu verschwenden, meine Kräfte zu schwächen. Vielleicht wäre es mir eines Tages nur mit ihnen möglich, ein halbwegs normales Leben zu führen. Abgesehen davon hatte ich Damontez, als er mir die Regeln für diese Nacht erklärt hatte, mein Wort darauf gegeben.
Ich zog gerade mein Kleid
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