Spiegelblut
für Raum kann verloren gehen, oder das für Zeit, nur um ein Beispiel zu geben.«
Damontez sagte nichts, ich natürlich auch nicht. Ich hoffte inständig, dass er nicht an dasselbe dachte wie ich. Nämlich an seine Frage, wie viel Zeit vergangen sei, nachdem er mich zwei Tage in dem kleinen Verlies isoliert hatte. Dort waren meine Sinne durchaus eingeschränkt gewesen. Die Stille, die immer gleiche Umgebung … gefühlsmäßig hatte ich auf eine Woche getippt, während doch alle anderen Dinge mich hätten vom Gegenteil überzeugen müssen: die Brenndauer der Kerzen zum Beispiel, oder die Menge, die ich getrunken hatte. Ich spürte, dass Damontez den Kopf in meine Richtung drehte. Nur ganz kurz, aber er signalisierte damit ein eindeutiges »Warte ab, bis wir zurück sind!« Als hätte ich es gewusst und ihm verschwiegen!
»Was hältst du von einem Test, Damontez, gleich hier und jetzt?«, schlug Faylin vor.
Ein Test? Hier ? Vor ihnen? Ich kam mir vor, als würde ich gewaltsam aus dem letzten Rettungsboot eines sinkenden Schiffes gezerrt. Meine Hände wurden feucht.
»Was für ein Test?«, hakte Damontez nach. Er klang nicht erfreut.
»Der – menschlich ausgedrückt – ultimative Test, um ein Spiegelblut zu überführen.« Faylin lachte.
»Sie ist kein Spiegelblut«, zischte Damontez durch hörbar zusammengepresste Zähne meinen eigenen Text.
»Ob sie ein Spiegelblut ist, werden wir ja dann bei dem Test herausfinden.« Das war wieder Draca, mit der fiesen, kalten Stimme, die allein schon ausreichte, um mir die Nackenhaare senkrecht zu stellen. »Wer sagt uns, ob sie die Rolle deines Nachtschattenherzens nicht nur spielt?«
»Und ihr Blut? Ist es Aliquid Sanctum?« Das war Faylin. Die Heuchelei in seinen Worten drehte Spiralen, so wie die Augen von der Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch, wenn sie ihr Opfer hypnotisierte.
»Was für ein Test soll das überhaupt sein?«, erkundigte sich Damontez, ohne auf den Einwand von Faylin zu reagieren.
»Man blockiert dem Spiegelblut für eine Zeit lang alle Sinne. Ein Tuch über die Augen und es ist blind. Watte oder etwas Schallisolierendes für die Ohren – und es ist taub. Eine Umgebung ohne Geruch – ein Atemfilter ist nicht zwingend nötig – und schon hast du drei der fünf Sinne unter Kontrolle. Geschmack ist hier nicht weiter relevant, also sind es sogar vier …«
Und es ist blind und taub – und vielleicht gestorben vor Angst … Nein, bitte, bitte, Damontez, ich will diesen Test nicht!
»Damit es sich so wenig wie möglich spürt, musst du dafür sorgen, dass es sich nicht bewegen kann.«
Mein schneller Atem sprengte fast den Stahlring um meinen Hals. »Lass sie sich hinknien und auf die Fersen setzen, den Oberkörper vorbeugen, bis ihre Stirn den Boden berührt. Dann kannst du ihre Hände auf den Rücken fesseln und mit den Füßen zusammenbinden. Ein Seil komplett um Oberkörper und Beine erledigt den Rest.«
Ich musste irgendeinen Laut von mir gegeben haben, der Draca zu einem grauenhaften Lachen veranlasste.
»Das werden wir auf gar keinen Fall zulassen. Weder bei ihr noch bei sonst einem vermeintlichen Spiegelblut!«, widersprach Pontus energisch.
Ich nahm den Kopf ein wenig höher und sah Damontez’ Fingernägel zu silbernen Klauen wachsen. Er war nicht nur wütend, sondern kampfbereit.
»Du kannst die Krallen einfahren, Halbseelenträger«, spottete Draca. »Hör dir erst einmal an, wie der Test endet!«
Faylins Stimme säuselte mir direkt ins Ohr: »Ist sie ein normales Mädchen, wird sie wie jeder gewöhnliche Mensch nach ein bis zwei Tagen Halluzinationen bekommen.«
»Sie soll ein bis zwei Tage in diesem Zustand gefangen sein? Dir muss der Arsch ja gewaltig auf Grundeis gehen, wenn du es so nötig hast, auf diese Art ein Spiegelblut zu überführen!« Ich wusste nicht, wo Myra plötzlich herkam, aber es war beruhigend, sie in der Nähe zu wissen. »Welches Interesse hast du eigentlich selbst an einem Spiegelblut?« Sie war wohl die Einzige, die die Dinge beim Namen nannte.
» Damontez !« Faylin klang pikiert. »Ich muss sagen, dass sie mein Auge und mein Ohr gleichermaßen beleidigt. Allein ihr Siegel sieht vielversprechend aus. Äonen, falls ich mich nicht irre.« Lügner ! Das wusste er genau! »Soweit ich weiß, gibt es in diesem Jahrhundert nicht einen einzigen Lichtträger, der über die Zeit gebieten kann. Mädchen, solltest du mal einen anderen Arbeitsplatz suchen …« Er sagte es spaßig, aber es war durchaus ernst
Weitere Kostenlose Bücher