Spiegelblut
nicht abzuschätzen, wie Damontez es meinte. Danke für den Tipp oder doch eher ein: Du kannst mich mal!
Jemand klatschte in die Hände, und ich hörte Faylin nach Musik rufen. Wie auf Kommando drängten sich plötzlich Vampirinnen um meinen Herrn und forderten ihn mit verführerischen Stimmen zum Tanz auf.
Klasse, ich war also kein Spiegelblut und nun ex officio zur Jagd freigegeben worden, so interpretierte ich es zumindest. Damontez versprach einer besonders enervierenden Vampirbraut das nächste Musikstück und brachte mich dann zu meinem Platz. Der einzige Lichtblick waren die kleinen, gelben Sandaletten neben mir.
»Was immer auch geschieht, du siehst nicht auf!« Damontez legte seine Hände auf meine Schultern. »Wer immer dir die Freiheit verspricht, glaub ihm nicht! Wer immer dir droht – dir geschieht nichts, solange er nicht deinen Blick bekommt! Hast du das verstanden?«
Ich sah auf und blinzelte ihn an.
»Bis jetzt hast du deine Sache sehr gut gemacht.« Ganz kurz nahm er meine Hände in seine. Es war, als brannten Wunderkerzen in den Hohlräumen unserer Finger. Ich wünschte mir in diesem Moment zum ersten Mal, er würde bleiben und nicht gehen, doch eine seiner Vampirbräute zerrte ihn von mir weg.
Ich spürte die Präsenz mehrerer Vampire und betete, dass ich keine von ihren Seelen spiegelte. Da mir das bisher nur im Zustand allergrößter Panik passiert war, versuchte ich mich auf etwas zu konzentrieren, das mir keine Angst machte. Doch es gab in meinem Leben derzeit nicht besonders viel davon. Ich rief mir noch einmal den letzten Test von Damontez in Erinnerung:
»Die Farbe will sich mir nicht erschließen, aber dieser Stein klingt wie ein Kontrabass. Und er schmeckt scheußlich! Nach Dynamit. Ganz sicher Dynamit.« Ich schmatzte ein bisschen, als würde ich den Geschmack auf der Zunge tragen, und baumelte unschuldig mit den Beinen. Ich saß auf Damontez’ Anweisung hin auf einem alten Tisch im Herrensaal, während er selbst vor mir stand.
»Dynamit und Kontrabass, hm, klar – es ist vermutlich Vulkangestein.« Seine Stimme war spöttisch, er nahm mir den Stein aus der Hand und legte etwas anderes hinein. »Was ist das? Farbe?«
»Oh … eine Blüte. Sie ist rot – nein warte! – grün, oder blau … Ich weiß es nicht. Es könnte auch lila-blassblau sein.«
»Mit Punkten wahrscheinlich.«
»Aber sie hat einen wundervollen Gesang. Wie Sternenlicht, das auf eine Wüste fällt. Kennst du ihn?«
»Nein!« Ein Seufzen und Schnauben in einem einzigen Laut. »Außerdem stelle immer noch ich die Fragen.«
»Und in Spiegelsicht schmeckt sie … vanillig.«
»Das liegt vielleicht daran, dass es Vanille ist. Selbst ein Wachkoma-Patient würde das riechen, Coco-Marie!«
»Aber dann ist sie weiß oder gelb. Das hätte ich nie im Leben erraten.«
»Du sollst auch nicht raten!« Jetzt wurde seine Stimme lauter.
»Tut mir leid.« Ich zog die Schulterblätter zusammen.
»Mir auch.« Wieder tauschte er den Gegenstand aus. »Was ist das? Farbe?« Er trat direkt vor mich.
Ich drehte das längliche Ding in der Hand, fest entschlossen, mich nicht von seiner körperlichen Nähe einschüchtern zu lassen. Bei diesem Test hatte ich das Sagen.
»Hey, das ist ja ein Stift. Ein Buntstift, was? Hm, er schmeckt nach Zitrone und klingt wie ein hohes C. Oder ist es ein Bleistift?«
Ich bekam einen Schlag auf den Hinterkopf. Einen leichten.
»Gelb ist er aber nicht, oder?«, sagte ich ein wenig kleinlaut.
»Wenn du mir jetzt noch einmal nur eine Kombination aus Geschmack und Klang nennst, behältst du diese Augenbinde die ganze Nacht auf – mit auf den Rücken gebundenen Händen versteht sich.«
»Versteht sich!«, parierte ich.
»Habe ich vielleicht gesagt, du sollst einen Papagei imitieren?«, knurrte er.
»Nein. Aber der wäre bunt.« Ich musste ungewollt kichern, es war das erste Mal, dass ich in seiner Nähe so etwas wie Fröhlichkeit empfand.
Ich lächelte, als ich daran dachte. Die Seelenlosen umkreisten uns immer noch, als wollten sie eine Runde »Die Reise nach Jerusalem« spielen. Anstelle eines Platzes gierten sie nach einem Blick. Mir wurde aber auch bewusst, dass die anderen Mädchen vielleicht durchaus bereit wären, ihren Besitzer zu wechseln. Allerdings: Was erwartete sie, wenn ihr eigener Vampir den Kampf gewann? Messer und Peitsche?
Einer der Seelenlosen blieb plötzlich vor mir stehen. Ich verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und schob meine Hände unter die Oberschenkel,
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