Spiegelblut
Henri damit?«
»Hat ihm spontan gefallen. Ich habe ihm gesagt, er soll es wegschmeißen. Hat er natürlich nicht gemacht. Ich habe ihn gefragt, wo der Laden ist. Es kam mir zu rätselhaft vor. Er beschrieb mir den Weg, aber als ich einen Tag später dorthin fuhr, hatte er bereits dichtgemacht.«
»Hat er das Medaillon je geöffnet?«
Eloi nickte. Er zeigte ein Lächeln, das, wenn es nur gekonnt hätte, all seine Verfehlungen in der Vergangenheit aufgezehrt hätte. »Du kannst mich nicht sehen, aber dennoch bin ich hier. Du kannst nicht fliehen, du bist ein Teil von mir. Euer Zwillingsgedicht.«
Ich musste schlucken. »Dieser Text stand in dem Amulett?«
Das Amulett eines Spiegelblutes! Und ich hatte stets geglaubt, es handelte von Finans und meiner Verbundenheit, ja vielleicht sogar von seiner Blindheit. Immer hatte ich die ersten Zeilen gesprochen: Du kannst mich nicht sehen, aber dennoch bin ich hier. Und Finan den Rest. An was erinnerte es mich jetzt? Was konnte man nicht sehen und war doch immer bei einem? Vor wem konnte man nicht davonlaufen? Einer Seele? Oder einer halben? Ich musste an Damontez und seine andere Seelenhälfte denken. Nie konnte er ihr entkommen, fühlte, was sie fühlte. »Stand sonst noch etwas darin?«
»Das hat er mir nicht gesagt.« Eloi zuckte mit den Schultern. »Ich habe es ihm gestohlen und aus dem Haus geschmuggelt. Es war mir unheimlich, es musste verschwinden.«
»Vielleicht hat er es gefunden und zu einem Notar gebracht«, überlegte ich laut. »Möglicherweise hatte er Angst, es wieder zu verlieren. Aber es könnte ja auch sein, dass die Engel dafür sorgen, dass ein Spiegelblut das Amulett bekommt.« Ich schüttelte den Kopf. »Du hast mit niemandem über Paris gesprochen?«
»Doch, mit dir, wenn ich betrunken war. Nüchtern hatte ich nie den Mut dazu. Wieso fragst du ausgerechnet jetzt nach diesem Amulett, Coco?«
»Bist du bald fertig?« Drei harte Schläge ließen die Holztür beben.
»Mir ist schlecht, es dauert noch ein bisschen«, rief ich nach draußen. Es war nicht einmal gelogen. Ob sie Elois oder meinen Herzschlag durch die Tür hindurch hören konnte? Oder unsere Stimmen? Falls ja, warum kam sie nicht herein? War sie eine Mitwisserin des Komplottes? Wartete sie nur darauf, dass ich verschwand, um an einem anderen Ort ins Verderben zu rennen?
»Wieso hast du mich nach dem Amulett gefragt?«, zischte Eloi jetzt leise durch die Zähne.
Ich musste es ihm sagen. Jahrelang hatte er geschwiegen, um mich vor der Wahrheit zu schützen, aber letztendlich konnte niemand der Realität davonlaufen, ohne das Rennen zu verlieren.
»Ich fürchte, ich bin ein Spiegelblut. Ich glaube, Finan war auch eines.«
Er sah aus, als habe ich ihm gerade mein Todesurteil verlesen oder ihm erklärt, das nächste Kamikazeflugzeug der al-Qaida zu fliegen. Er sank auf den Toilettensitz und stützte den Kopf in die Hände. »Oh mein Gott, Coco, nein …«
»Kam dir Finans Tod nie seltsam vor?«
»Coco …« Er hob den Blick. Angst lief über seine Züge wie Tinte, wenn man einen Füllhalter in Wasser taucht.
»Bitte Eloi, beantworte einfach meine Frage! Wir haben keine Zeit!«
»Mir kam schon der Tod deiner Eltern seltsam vor«, sagte er dumpf. »Ich bin mit euch aus Frankreich nach Schottland zu einem alten Freund geflohen. Als Finan starb, wusste ich nicht mehr, was ich denken sollte. Das Amulett blieb verschwunden, ich versuchte, zu vergessen. Deine Phobie vor den Spiegeln, die Dinge, die du im Labyrinth gesehen hast … das machte mir Angst. Aber ich wollte dich aus allem raushalten und wusste gleichzeitig, dass ich es dir eines Tages sagen müsste.«
Ich fasste in drei Sätzen zusammen, was ich mittlerweile wusste. Eloi nickte, als fügten sich erst jetzt nach so vielen Jahren die Scherben seines Lebens zu einem Ganzen.
Wieder hämmerte Amybella an die Tür. »Wenn du in einer Minute nicht draußen bist, komme ich rein!«
»Ich muss zurück. Geh, Eloi! Versuche das Castle von Damontez zu finden. Es liegt am Loch Lomond.«
»Wenn Finan auch ein Spiegelblut war, dann gibt es vermutlich eine Gruppe Vampire, die nur deinen Tod will, nicht deine Kräfte.« Elois Finger durchwebten die Luft mit Siegeln.
»Ich weiß!« Ich stand schon an der Tür, die Klinke in der Hand, als sich die ersten Wirbel der Raumkrümmung zeigten.
»Coco, Finans Tod war nicht deine Schuld. Ich habe dich … ich hab es dir nie gesagt …« Sein Blick raste auf mich zu wie ein brennender Pfeil. »Pass auf
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