Spiegelblut
gut, erzähl ihnen alles! Sieh mich an und erinnere dich … ich habe es dir doch gezeigt …
Für Sekundenbruchteile glaubte ich zu wissen, dass er mein Blut nur genommen hatte, damit ich hier und jetzt darüber berichten konnte.
»Schwarze Flammen, die über mir flackerten, es wurde so dunkel und eisig, ich hatte … solche Angst. Mein Herz schlug nur noch für den Tod, irgendwann habe ich mich ihm ergeben.«
Damontez’ Blick hielt meinen, zum ersten Mal war es tröstlich, ihn anzusehen.
»Er hatte lebendige Augen, versteht ihr …« Ich rang nach Worten, um das Nichtbeschreibbare hier in den Raum zu holen und für sie sichtbar zu machen. »Der Tod wurde lebendig in seinen Augen, schön und kalt … eine funkelnde Gestalt mit einer schwarzen Schleppe der Ewigkeit.«
»Und was passierte dann?« Amybellas Worte schwebten irgendwo ätherisch zwischen mir und Damontez, beinah fühlte ich mich in die Situation zurückversetzt.
»Stille, ich stand in der Lautlosigkeit eines silbernen Schneesturms und hatte keine Angst mehr. Der Tod verlor für wenige Sekunden den Schrecken. Es war wie damals, als ich als Kind Schneeflocken mit der Zunge gefangen hatte. Der Schnee wuchs zu einem Schloss aus Licht und Eis, es war schon so spät, die Sonnenstrahlen fast glutrot. Ein Moment so unsterblich schön und ewig, wie nichts, das ich kenne.«
Jetzt wusste ich, welches Geschenk er mir gemacht hatte. Es war dasselbe, das auch der erste Vampir seiner Geliebten ins Blut gegeben hatte. Es nahm der Sterblichkeit den Schrecken – und an dieses Gebot musste sich jeder Vampir halten. Vielleicht als Entschädigung für das, was den Mädchen angetan wurde. Ein Teil von mir war in diesem Reich zwischen Leben und Tod geblieben, auch wenn ich ihn erst in dieser Nacht wiedergefunden hatte. Jetzt, da ich mich erinnerte, spürte ich das Echo dieses Moments in der Seele.
Ich glaubte in diesem Augenblick meines Lebens wirklich sicher zu wissen, dass ich in den Sekunden meines Todes frei von Furcht sein würde.
20. Kapitel
»Die Musik wird treffend als Sprache der Engel beschrieben.«
THOMAS CARLYLE
Alle schwiegen, und ich spürte, dass es genau das gewesen war, was sie hatten hören wollen.
Es war, als wäre mir der Schatten des Todes ins Herz gefallen. Nachtschattenherz.
Deswegen hatte Damontez nicht aufgehört und mir so viel Blut genommen. Bewusst, aber mit allergrößter Vorsicht, hatte er mich an die Schwelle des Todes getragen. Er hatte nur nicht daran gedacht, dass auch die Kälte dem menschlichen Körper großen Schaden zufügen konnte.
Ich senkte den Blick, diesmal nicht, weil er es forderte, sondern von ganz allein, da ich nicht wusste, was ich von ihm halten sollte, ob er all das wirklich geplant hatte oder mich jetzt nur der Zufall rettete.
»Oh, ich liebe es immer wieder aufs Neue«, brach eine mir fremde Vampirin entzückt die Stille, »jedes Mädchen für sich erzählt die gleiche Geschichte, und doch ist sie stets anders. So viele Fantasien, wenn es um den Tod geht. Ich habe die Magie in ihrer Stimme bis unter die Haut gespürt, so etwas kann sie sich nicht ausdenken oder einfach nur wiedergeben.«
»Dann sag das bitte auch Faylin, Draca und all den Zweiflern dort draußen«, wies Damontez sie an.
Die Vampirin verließ den Saal. Die anderen schwiegen und erst an der aufsteigenden Kälte registrierte ich, dass sich der Raum füllte.
Faylin trat ganz dicht zu mir, seine Schuhspitzen berührten fast meine Sandaletten.
»Du scheinst tatsächlich nicht mehr als ein Mädchen in seiner Obhut zu sein.« Er wandte sich an Damontez, und als er sprach, klang seine Stimme wie das wilde, irre Flüstern eines Kopfgeldjägers, der seine Beute nur ungern aus dem Fadenkreuz entließ. »Nichts für ungut, Damontez, aber wäre sie ein Spiegelblut gewesen, hätte sie diesen Saal nur rechts hinter mir verlassen.«
»Wenn du ihn überhaupt verlassen hättest«, meinte Damontez trocken und schien zum ersten Mal richtig gut gelaunt.
»Ach, bevor ich es vergesse, Damontez …«
Ich hielt die Luft an, er würde etwas Schreckliches sagen. Er hörte sich viel zu nachlässig an, als dass es unwichtig sein könnte.
»Manch einer behauptet, die Kräfte eines Spiegelblutes würden in der Zeit des Halluzinierens wachsen. Mit jeder Minute, die es länger in der Testsituation gefangen ist, stärken sich die Fähigkeiten.«
Wieso versuchte er, Damontez den Test schmackhaft zu machen? Was hätte er davon?
»Interessant!« Selbst für mich war
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