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Spiegelblut

Spiegelblut

Titel: Spiegelblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uta Maier
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er meine Worte gehört oder vielmehr verstanden hatte, tat er so, als wäre nichts gewesen. Jeder wusste, dass ich etwas Verbotenes getan hatte, allein meine schnellen Herzschläge erzählten es ihnen. Als ich bei zehn ankam, begann Draca wieder zu singen. Diesmal klang sein Gesang schauriger als zuvor. Ich versuchte, ihn zu ignorieren und weiterzuzählen, aber ich hatte das schreckliche Gefühl, in einem Déjà-vu gefangen zu sein. Ich musste an meinen Bruder denken. Was hätte Finan jetzt getan? Irgendetwas irritierte mich, doch ich wusste nicht, was es war.
    Die Stimmen vor mir schienen viel zu laut. Ich schüttelte unwillig den Kopf. Alles war zu laut, ich musste mich auf etwas konzentrieren.
    »Shht!«, machte plötzlich jemand.
    Das Gespräch vor mir endete abrupt. Nur Draca sang unbeirrt weiter, er hatte die Stuhlreihe umrundet und stand nun fast vor mir. Diesmal verstand ich auch den Text seines Liedes:
    »Es ist wieder Frühling, mein Herz, mein kleiner Engel, lass mich für dich Blumen pflücken, nur einen Strauß voll für meine Lie-iebe …« Er verbeugte sich vor mir.
    »Grauenhaft!«, spöttelte Raven.
    »SSHHTT!« Ich war es selbst. Oh Gott! Das hatte ich laut gesagt!
    »Und lass ihn mich mit Hyazinthen schmücken … den Honigduft in deine Arme legen, denn deine Liebe ist mein Leben, es ist wieder Frühling …«
    Unwillkürlich sprang ich auf und fing an zu schreien. Oder war es ein Wimmern? Auf jeden Fall war es laut genug: Alle Anwesenden, die Nefarius, die Angelus und die Lichtträger, drehten sich schlagartig zu mir herum, als hätte man mir aus dem Hinterhalt einen Pfeil mitten durch die Brust geschossen. Vielleicht war es auch so. Draca hatte die schärfste Waffe gegen mich verwendet, die er besaß.
    Es ist wieder Frühling, ein Strauß Blumen, Honig und Hyazinthen, ich hätte es fast vergessen …
    Ich hatte es nicht vergessen und wusste zwei Dinge jetzt mit Sicherheit: Draca und Faylin hatten meinen Bruder getötet. Draca hatte damals sein Blut getrunken. Als er in diesem Moment vor mir stand, erkannte ich ihn wieder: das markante, kalkweiße Gesicht, die rubinroten Augen und das gelbstichige Haar, das er wie Cristin zu einem geflochtenen Zopf trug, der ihm bis auf die Mitte des Rückens reichte.
    Ihr Bruder wurde von einem Vampir getötet . Er hatte sich aufgrund von Pontus’ Erklärung an mich erinnert. Sie hatten Finan ohne zu überlegen getötet. Sie waren die Spiegelblutjäger, die nur ein Ziel hatten: den Tod der Spiegelseele; so wie der Clan, der Amanda getötet hatte. Wusste Draca auch, was ich war – wenn ich es war? Ich konnte den Blick nicht von seinen tot-roten Augen lösen.
    »Sie sieht mich an«, sagte er jetzt nur triumphierend, er sprach nicht laut, doch der Saal war so still, dass es mir vorkam, als würde er brüllen.
    Ein paar der Vampire begannen, sich hinter ihm zusammenzurotten. Mehrere lachten und sparten nicht mit anzüglichen Bemerkungen. Ich hatte das dringende Bedürfnis zu fliehen, aber er zwang mich, ihn anzusehen, versenkte seinen Willen so tief in mir, dass es wehtat.
    Ruhig Coco, ruhig – mein Herz, mein kleiner Engel, sieh mich an! Du willst mich doch ansehen, oder nicht? Zeig Damontez, wen du dir ausgesucht hast, flüsterte er in meinem Kopf.
    Er sah zum Fürchten aus, der schrecklichste Vampir, den ich je gesehen hatte, komplett verwandelt und mit einer sichtbaren Drohgebärde in jeder Muskelfaser. Ich zitterte wie ein panisches Kaninchen vor der Schlange. Die Angst, ich würde jetzt auch noch seine Seele spiegeln, machte es nicht besser.
    Er hat meinen Bruder getötet, wollte ich schreien, aber kein Ton kam über meine Lippen. Er hat Finan getötet!
    Krampfhaft wollte ich den Kopf drehen, die Beine heben, fliehen, schreien. Nichts. Ich war von der Macht, die er über mich hatte, noch verängstigter als von seiner ganzen Gestalt.
    Damontez kam wie ein Blitz aus der Luft geschossen, sprang vor mich und neigte den Oberkörper wie ein kauerndes Raubtier nach vorn. »Du hast sie hereingelegt!« Die Worte zitterten vor Zorn. Er beugte die Knie, als wollte er Draca anspringen.
    »Sie sieht mich immer noch an!« – Nicht wahr, das tust du doch, mein Herz?
    »Wir wissen auch alle warum, Lamiis Nefarius!« Niemals zuvor hatte ich ihn so in Rage erlebt. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sich seine Haut mit dem feinen Hauch Blau überzog wie mit einer Glasur. Flüchtig wischte er sich über das Gesicht, als wäre es schmutzig.
    »Aber Gesetz ist Gesetz«, hörte

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