Spiegelblut
Vampirinnen. Ich hob den Blick nur so weit, dass ich den Kampf mitverfolgen konnte, und entdeckte Glynis ganz vorne auf der anderen Seite. Dass Damontez sie überhaupt mitgenommen hatte … Ich sah ihre Mundwinkel zucken, als ihr Blick auf mich fiel. Sie betete sicher dafür, dass Draca gewann.
Man überreichte den beiden Kontrahenten die stählernen Speere und Faylin eröffnete den Kampf so nonchalant wie den Tanz. Der Übermut wich aus Dracas dämonischen Zügen und machte einer konzentrierten Kaltblütigkeit Platz. Er näherte sich Damontez langsam von rechts, stürzte dann aber so schnell vorwärts, dass ich aufschrie. Damontez parierte, ihre Stäbe kreuzten sich in der Mitte, sie schoben sich mit Stemmschritten über das Feld, ohne dass die Waffen einander losließen. Damontez drängte Draca fast an das äußere Ende des Quadrats. Im nächsten Moment drehte Draca seinen Speer um den von Damontez und stieß nach vorn. Ich zuckte instinktiv zurück. Als ich die Spitze durch Damontez’ Oberarm blitzen sah, rebellierte mein Magen, mir wurde speiübel. Genauso schnell, wie er zugestochen hatte, zog Draca den Stahl wieder heraus. Blut spritzte wie eine Fontäne über das weißgoldene Pflaster und entlockte Dracas Anhängern ein höhnisches Lachen. Damontez’ Gesicht zeigte weder Schmerz noch Irritation.
Die nächsten Schläge tauschten sie so stürmisch, dass meine Augen kaum folgen konnten. Ich hörte ihre Waffen durch die Luft zischen, sah wirbelnde Schemen ohne klare Konturen. Jedes Mal, wenn Draca den Kampf dominierte, nahm Pontus unauffällig meine Hand in seine. Als Draca plötzlich etliche Meter himmelwärts sprang, gaben fast meine Knie nach. Der Luftzug des Auftriebs strich über meine Wangen, und er landete mit einem Lachen und ausgestreckter Speerspitze nur einen Meter vor mir. Sofort war Damontez da, schlug ihn mit über den Kopf gezückter Waffe von mir fort und schoss selbst in die Höhe. Seine Robe bauschte sich im Wind, noch im Fall stieß er den Speer nach Draca und verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Die nächsten Paraden fanden mehr oder weniger in der Luft statt.
Es sah aus, als tanzten sie einen tödlichen Reigen miteinander, bei dem jeder die Führung an sich reißen wollte.
»Er wird es schaffen. Er und Remo können über den Wind gebieten«, sagte Pontus leise neben mir. »Besser als alle anderen Vampire. Man sagt, es liegt an der geteilten Seele. Der Odem, der Atem. Daher haben sie bereits Kräfte, die andere Vampire erst bekommen, wenn sie älter sind – so wie Draca.«
Ich nickte kaum merklich, obwohl ich nicht verstand, was er mir damit sagen wollte. Etwas in der Luft um mich fesselte meine Aufmerksamkeit: Jeder Schlag, den Damontez ausführte, wurde begleitet von einem Ton, fast, als schmetterte er mit dem Speer eine Melodie in die Nacht. Die kräftigen Töne waren wie Donner, die leichten Paraden wie Silberglöckchen. Schon nach ein paar Minuten erkannte ich ein Muster dahinter. Es war eine Tonfolge. Es war seine persönliche Melodie.
Ich blinzelte irritiert, schloss kurz die Augen. Hinter geschlossenen Lidern sah ich seine Bewegungen nur anhand der einzelnen Töne: das Zurückweichen, das Vorwärtsstoßen, den Salto in der Luft mit seitlich ausgestrecktem Speer. Hätte ich gegen ihn gekämpft, hätte ich allein dem Klang nach seinen nächsten Schlag voraussehen können. In diesem Augenblick spürte ich das vertraute Knistern des Transparentes in meiner Mitte, aber es wurde nicht hell. Mir wurde bewusst, was ich tat. Ich spiegelte seine Kräfte! Die dritte Fähigkeit eines Spiegelblutes – sie hatte mich gefunden, in einem Moment, in dem ich sie am wenigsten erwartet hatte. Ich reflektierte Kräfte nicht in Farben wie das letzte Spiegelblut, sondern ich konnte sie hören. Mein Seelentransparent, meine Spiegelseele oder was auch immer ich tief in mir trug, übersetzte mir die Kräfte der anderen in eine Sprache, die ich nur zu gut verstand: die der Musik! Ich hätte es wissen können! Meine Liebe zu Opern, mein Hang, in den Melodien Trost zu finden. Musik war für mich schon seit meiner Kindheit die Sprache der Seele.
Ein jähes Aufschreien der Meute entriss mir Damontez’ Lied und stieß mich in die Realität zurück. Ich sah Draca mit angewinkelten Beinen aus der Luft auf Damontez zustürzen. Dieser sprang nach hinten, aber Draca hatte damit gerechnet und schleuderte sich einen Meter weiter nach vorn. Sein Speer bohrte sich in Damontez’ Brust, in die weiche Grube oberhalb
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