Spiegelschatten (German Edition)
Teil äußerst skurril.
Eine achtundsiebzigjährige Dame aus Unkel hatte, als sie am Nachmittag des Mordes ihren Hund ausführte, zwei Nonnen vom Rhein her kommen sehen. D ie hatten ihre Gewänder bis zu den Knien gerafft, damit sie schneller laufen konnten. Sie wollte Blut an ihren weißen Schleiern bemerkt haben, und eine von ihnen habe den armen Hund mit ihrem irren Blick in Panik versetzt.
Ein Hellseher bot seine Dienste an. Er behauptete, der tote Josch Bellmann habe ihn aufgesucht und ihn gebeten, die Polizei bei der Aufklärung des Falls zu unterstützen.
Eine Frau, die ein Buch über Engel geschrieben hatte, war bereit, am Tatort mit dem Schutzengel des Toten in Verbindung zu treten, um zu erkunden, was genau sich am Ufer des Rheins zugetragen hatte.
Bert kam sich vor wie in diesen Träumen, in denen er durch kniehohen, zähen Schleim watete und nicht von der Stelle kam, das Ziel vor Augen, den Atem der Verfolger im Nacken.
Eine Phase, die sie bei jedem Fall durchleben mussten, rief er sich in Erinnerung. Die man dann wieder vergaß, um sich beim nächsten Fall erneut die Haare zu raufen.
Bert warf einen Blick auf seine Uhr. Für heute sollte er Schluss machen.
Er zog seinen Mantel an, öffnete die Tür und löschte das Licht. Auf dem Flur lief er Rick in die Arme, der ebenfalls im Begriff war, das Büro zu verlassen. Gemeinsam gingen sie zum Parkhaus. Dünner Regen fiel aus dem dunklen Himmel. Die Luft war von einem kränklichen Braun. Sämtliche Geräusche hatten sich verdichtet. Sie dröhnten Bert in den Ohren und schienen in seinem Kopf widerzuhallen.
Auch Rick ging vornübergebeugt, als sei ihm unbehaglich zumute und als könnte er nicht schnell genug nach Hause kommen. Oder zu Malina, die ihn in ihrer warmen, gemütlichen Wohnung erwartete, um einen schönen Abend mit ihm zu verbringen.
Bert war hundemüde. Aber es zog ihn nicht in seine eigene Wohnung, in der es immer noch so aussah, als gehörte sie jemand anderem. Die er noch nicht mit Leben gefüllt hatte, weil die Einsamkeit, die ihn dort erwartete, mit dem, was er sich ersehnte, nichts zu tun hatte.
Niedergeschlagen stieg er in seinen Wagen und drehte die Heizung hoch.
Er kämpfte sich über die verstopfte Zoobrücke und wurde von dem abendlichen Stau auf der Inneren Kanalstraße aufgesogen. Dass er dabei Zeit verlor, war ihm gleichgültig, denn der Abend, der vor ihm lag, war auch so noch lang genug.
Im Supermarkt in der Chamissostraße kaufte er zu Peter Maffays Über sieben Brücken musst du gehn ein bisschen Gemüse und Obst, ein Stangenbrot, zehn Eier vom Biohof, eine Tüte Pistazien und zwei Tafeln Schokolade. Er ließ gutmütig zu, dass sich an der Käsetheke eine resolute Rentnerin vordrängte, und half einer jungen Frau geduldig, das Regal mit den Schokoküssen wieder einzuräumen, das ihre beiden kleinen Kinder in einem unbeobachteten Moment geplündert hatten.
Dann empfing ihn mit langen, kalten Armen die Wohnung, in der er jetzt lebte.
Bert hatte schlagartig keinen Hunger mehr. Dennoch zwang er sich, ein komplettes Abendessen zuzubereiten. Er setzte Teewasser auf, schnitt Tomaten in Scheiben, würzte sie mit Salz und Pfeffer und belegte sie mit Zwiebelringen. Er brach das Stangenbrot in der Mitte entzwei, teilte die eine Hälfte und bestrich sie mit Kräuterbutter. Dann trug er alles zum Couchtisch und schaltete den Fernseher ein.
Sich an Rituale wie regelmäßige Mahlzeiten zu halten, um nicht zu verwahrlosen, war das eine. In einer immer noch fremden Wohnung allein an einem Tisch zu sitzen und sich von der Stille nicht kleinkriegen zu lassen, das andere.
Das heute - journal war schon vorbei, bis zur Tagesschau dauerte es noch eine knappe halbe Stunde. Bert zappte einmal querbeet und schaltete dann in eine Krimiserie, die bereits angefangen hatte, und in die er nicht mehr hineinfinden würde. Aber er mochte den bayrischen Dialekt und die Landschaft, die man zu sehen bekam. Nach kurzer Zeit lief der Fernseher ohnehin nur noch als Geräuschkulisse, denn Berts Gedanken hatten sich verselbstständigt.
Die Abende und vor allem die Nächte gehörten den Zweifeln.
Dem Bedauern.
Den Selbstvorwürfen.
Bert fragte sich, was in den vergangenen Jahren so schiefgelaufen war, dass er alles verlieren konnte, was ihm einst wichtig gewesen war. Wie konnte es geschehen, dass ein pralles Leben zu dem hier zusammenschrumpfte? Einer halb leeren Wohnung, in der die Geräusche kraftlos von den nackten Wänden zurückgeworfen wurden.
Er
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