Spiegelschatten (German Edition)
vergeblich, Schlaf zu finden. Sein Gehirn blieb schmerzhaft wach und erlaubte ihm nicht, zu vergessen.
*
Er konnte seinen Herzschlag in den Schläfen spüren. Und ein Rauschen im Kopf.
Als trüge er das Meer in sich.
Wie bei diesen Muscheln, die man sich ans Ohr halten konnte.
Ganz tief innen drin.
Diese Unruhe …
Es würde nicht mehr lange dauern, und er würde wieder die Stimme hören.
Wie müde er war. Wie erschöpft.
Aber sie würde ihm nicht erlauben, auszuruhen.
Sie würde ihn weiterhetzen. Bis er all ihre Befehle ausgeführt hätte.
Dann würde sie ihn töten.
23
Schmuddelbuch, Dienstag, 8. März, sechzehn Uhr dreißig, Diktafon
Unterwegs zu Björn. Möchte mit ihm über die Liste sprechen, mehr erfahren.
Und dann über Maxims Idee reden, ihn von hier fortzubringen.
Wir haben beschlossen, ihm unser Treffen zu verheimlichen. Wir tun einfach so, als hätten wir beide, unabhängig voneinander, den gleichen Gedanken gehabt.
Mir ist nicht wohl dabei. Ich habe Björn nie angelogen. Und geraten sie durch ihr Verschwinden nicht vielleicht in noch größere Gefahr?
Was, wenn sie den Mörder damit reizen?
Wenn er sie beobachtet und ihnen folgt?
» Nicht in die Einsamkeit.« Das war meine Bedingung. » Wenn, dann fahrt ihr irgendwohin, wo ihr unter Leuten seid.«
» Ich bitte dich, Romy. Wir besitzen beide ein Handy.«
» Trotzdem.«
» Kennst du nicht jemanden, der uns irgendwo eine kleine Ferienwohnung vermieten könnte?«, hat Maxim mich gefragt.
Mir ist jedoch niemand eingefallen.Außer Greg.Ausgerechnet.
Gregs Eltern sind vor Kurzem in ein Seniorenheim gezogen und leben jetzt in der Nähe von Gregs Bruder. Ihr Haus steht noch genau so da, wie sie es verlassen haben. Greg und sein Bruder versuchen, es zu verkaufen, doch das ist nicht so einfach, weil es seit Jahren nicht anständig renoviert worden ist.
Ich könnte also…
Nein. Nicht Greg. Der würde das nie erlauben.
» Wenn, dann muss es einer sein, der zu meinen Bekannten gehört«, sagte Björn, nun schon zum zweiten Mal. » Keiner meiner Freunde wär zu einem solchen Verbrechen fähig.«
» Davon haben wir hier ja noch einige.« Romy klopfte mit ihrem Kugelschreiber auf einen der Namen. » Bruno Jessen zum Beispiel.«
» Bruno…«
Björn massierte sich den Nacken. Alles tat ihm weh. Er wünschte, Romy hätte ihn nicht mit ihrem spontanen Besuch aus dem Bett gezerrt. Vielleicht würde er jetzt endlich friedlich schlummern und müsste sich nicht mit dieser vermaledeiten Liste beschäftigen, die er nie hätte anlegen sollen.
» Was willst du, Romy? Er sitzt meistens in der Cafeteria, durchgescheuerte Jeans, verwaschene Pullis, die obligatorische Wollmütze auf dem Kopf, und verfasst Gedichte, die er dann bei Poetry Slams vorträgt. So einer bringt keine Menschen um. Der ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.«
» Und vielleicht ein bisschen abgedreht«, vermutete Romy.
» Seit wann hast du solche Vorurteile?«
» Ich versuche bloß, unbefangen an die Sache heranzugehen.«
» Aha. So nennt man das.«
Björn wollte nichts mehr sehen und hören. Erst recht nicht seine Schwester, und wenn sie hundertmal versuchte, ihm zu helfen. Aber Romy war unerbittlich.
» Diese Poetry Slams, wie laufen die ab?«
» Die Typen tragen ihre Texte vor, über die anschließend vom Publikum oder von einer Jury aus dem Publikum abgestimmt wird. Das weißt du doch.«
» Nur vom Hörensagen.«
» Dann geh da mal hin. Wird dir gefallen.«
» Und wie ist dieser Bruno so? Ehrgeizig?«
» Jeder, der an einem Wettstreit teilnimmt, will gewinnen.«
» Und? Gewinnt er?«
» Mal ja, mal nein. Worauf willst du hinaus, Romy?«
» Ich taste mich einfach in alle möglichen Richtungen vor– in der Hoffnung, auf irgendwas zu stoßen, das uns aufhorchen lässt. Nehmen wir mal an, eine Jury hätte ihn so richtig niedergemacht und…«
» …und in dieser Jury saß Leonard, woraufhin Bruno beschlossen hat, ihn zu töten und alle Schwulen um ihn herum gleich mit? Sag mal, Romy, geht’s noch?«
Björn tippte sich an die Stirn, doch Romy ließ sich nicht beirren. » Wir sind uns einig, dass der Mörder psychisch krank sein muss, oder nicht?«
» Ja…«
» Und wieso erwartest du dann ein nachvollziehbares Verhalten von ihm?«
Dagegen konnte Björn nichts einwenden.
» Menschen töten aus den nichtigsten Gründen, Björn. Ein kleiner Nachbarschaftsstreit kann unter Umständen schon ausreichen, um tödlichen Hass zu entzünden.«
Sie umkringelte
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