Spiegelschatten (German Edition)
Das haben wir doch alles schon durchgekaut.«
» Wie oft verbergen sich hinter den kompliziertesten Fällen letztlich doch Beziehungstaten«, sagte Bert. » Wie oft ist der Ehepartner oder Liebhaber der Täter.« Er nahm einen Schluck Bier und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von der Oberlippe. » Nicht dass ich in diesem Fall davon ausgehe, denn Maxim Winter scheint ja alles zu tun, um seinen Freund zu schützen. Aber er hat schwarzes Haar und deshalb dürfen wir ihn nicht ausschließen.«
Er bestellte ein zweites Bier und wünschte sich einen Rausch, der seinen Kopf komplett ausfüllen und ihn sämtliche Namen vergessen lassen würde.
34
Schmuddelbuch, Donnerstag, 10. März, zwanzig Uhr dreißig
Etwas stimmt nicht.
Etwas ist ganz und gar falsch.
Mein Herz spürt es auch. Es schlägt wie wild.
Ingo folgt jeder meiner Bewegungen mit den Augen. Versucht, mich zu beruhigen.
Nichts hilft.
Etwas stimmt nicht.
Etwas ist ganz und gar nicht in Ordnung.
Ingo versuchte, noch ein wenig für sein Türenbuch zu arbeiten, denn die Hoffnung auf einen schönen Abend mit Romy hatte er sich endgültig abgeschminkt. Sie war überhaupt nicht richtig anwesend, saß grübelnd im Sessel oder tigerte nervös durch die Wohnung und stieß in unregelmäßigen Abständen tiefe Seufzer aus.
Er hatte damit angefangen, die Fotos zu ordnen, um eine Auswahl zu treffen, doch es gelang ihm nicht, sich zu konzentrieren, während Romy so offensichtlich an einem Problem herumknabberte.
» Was ist los?«, fragte er, nachdem er sich das eine Weile angeschaut hatte. So oder so ähnlich hatte er die Frage schon mehrmals gestellt und immer war Romy ihm ausgewichen.
Die Antwort war ein Seufzen.
» Romy, du machst mich verrückt mit deiner Unruhe. Meinst du nicht, es erleichtert dich, wenn du über das sprichst, was dich bedrückt?«
Sie ließ sich aufs Sofa fallen und starrte aus dem Fenster, als hätte sie ihn gar nicht gehört. Doch dann begann sie zu reden. » Es ist wegen Björn.«
Das hatte Ingo sich bereits gedacht. Er wartete ab, denn er wollte sie nicht unterbrechen, damit sie alles loswurde, was sich in ihr angestaut hatte.
» Weißt du, bei Zwillingen gibt es eine Nähe, die vielen Menschen unheimlich ist. Der eine Zwilling weiß, was der andere denkt, sie spüren genau, wie es dem andern geht, gleichgültig, wie groß die Entfernung zwischen ihnen ist. Verstehst du? Es ist nicht direkt Telepathie, aber es hat Ähnlichkeit damit.«
Ingo bezeichnete sich gern als Skeptiker. Er hatte es nicht so mit Esoterik, Parapsychologie und Sternkreiszeichen. Er sah das Leben gern klar und deutlich und hatte nicht das Bedürfnis, sich über seine Geheimnisse den Kopf zu zerbrechen. Dennoch hörte er weiter aufmerksam zu.
» Das war schon so, als wir Kinder waren. Björn bekam Kopfschmerzen und ich gleich mit. Ich schlug mir das Knie auf, und Björn, der gar nicht in der Nähe war, fing an zu heulen. Eigentlich ist das ein Phänomen, das man vor allem bei eineiigen Zwillingen beobachtet, aber bei Björn und mir ist es auch stark ausgeprägt.«
Romy stand auf und trat ans Fenster. Der Lichtschein des Kaminfeuers flackerte über sie hinweg, hob sie aus der Dunkelheit hervor und ließ sie wieder darin versinken.
» Als Björn einmal eine Blinddarmentzündung bekam und ins St. Johannes eingeliefert wurde, brach ich mit so hohem Fieber zusammen, dass ich ebenfalls ins Krankenhaus musste. Der eine fühlt sich ohne den andern wie amputiert.«
» Aber ihr lebt doch in unterschiedlichen Städten.«
» Das funktioniert, weil es Handys und Computer gibt, über die wir uns jederzeit erreichen können. Hinzu kommt, dass wir uns innerhalb einer halben Stunde sehen können, wann immer uns danach ist. Außerdem«, Ingo hörte an Romys Stimme, dass sie lächelte, » außerdem ist das Getrenntleben auch ein Training.«
» Ein Training?«
» Für den Ernstfall. Falls wir wirklich einmal getrennt sein sollten und nichts dagegen tun können.«
Sie drehte sich zu Ingo um, und das Licht liebkoste ihr Gesicht. Ingo saß ganz still, als könnte sie sich bei der kleinsten seiner Bewegungen wie eine Fee in Luft auflösen.
» Und jetzt… spüre ich, dass er sich in Gefahr befindet.«
» Deshalb ist er doch untergetaucht«, sagte Ingo, der nicht ein einziges Mal nach dem Ort gefragt hatte, an dem Björn und Maxim sich aufhielten. » Und er ist sicher in seinem Untergrund, denn nur wenige Menschen sind eingeweiht: du, Maxim, Björn selbst und die
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