Spiegelschatten (German Edition)
die Bewohnerin der ersten Etage zu befragen.
Tick. Tack. Ticktick. Tack.
Wahrscheinlich nicht.
7
Schmuddelbuch, Mittwoch, 2. März, fünfzehn Uhr
Stelle für GregArtikel über preisgekrönte Kölner Theater zusammen. Die Kulturszene hier ist gigantisch. Es gibt unzählige Theater in dieser Stadt und Cal hat mich schon in jedes einzelne davon geschleppt. Manche sind nicht größer als ein Wohnzimmer, und man sitzt so nah an der Bühne, dass die Schauspieler fast über die Füße ihrer Zuschauer stolpern. Manche sind nichts anderes als umfunktionierte Kellerräume. Eines ist vom Boden bis zur Decke schwarz– wie ein Versammlungsraum von Satanisten– bis das Licht aufflammt und die Bühne erstrahlen lässt.
Das Hin und Her in der Redaktion macht mich irre. Jeder will was von mir. Wenn ich mit der Sache für Greg fertig bin, werde ich mich mit meinem Laptop ins Alibi verziehen. Ich muss meinen Zwillings-Artikel noch überarbeiten. Seltsamerweise stört mich die Geräuschkulisse im Alibi nicht. Die empfinde ich sogar als angenehm.
Dann werde ich auch versuchen, Cal anzurufen und ihm Waffenstillstand anzubieten. Wir sind beide manchmal sehr empfindlich. Vielleicht liegt es daran, dass wir kaum noch Zeit füreinander haben. Und wenn, dann rede ich meistens über meine Arbeit und er über das Orson und seine neuen Freunde.
Und seine neuen Freun dinnen.
Nur über Lusina erzählt er so gut wie nichts.
Allmählich musste Maxim wieder an die Heimfahrt denken. Er konnte nicht ewig in Bonn bleiben. Sein Zuhause war in Berlin. Griet war in Berlin.
Sämtliche Probleme waren dort.
Es war verführerisch, die Tage bei Björn auszudehnen. Es fühlte sich so richtig an, ihm nah zu sein, sich geborgen zu wissen und ihn immer und immer wieder zu lieben.
Griet schickte ihm eine SMS nach der andern.
Ich denk an dich.
Hab heute Nacht von dir geträumt.
Trage dich bei mir, jede Minute und jede Sekunde.
Das machte ihn ärgerlich. Warum ließ sie ihn nicht in Frieden? Wer hatte ihr erlaubt, ihn in den Mittelpunkt ihrer Welt zu stellen?
Er beantwortete keine ihrer Nachrichten, nahm ihre Gespräche nicht an, rief nicht zurück. Für kostbare Sekunden konnte er sich vorstellen, sie aus seinem Leben zu verbannen, für alle Zeit.
Doch dann fiel sein Blick auf seine linke Hand, an der ihr Ring schimmerte.
Ein paar Mal hatte er versucht, ihn abzunehmen, doch es war ihm nicht gelungen. Der Ring saß zu fest, war Teil seiner Hand geworden. Ein Symbol für seine Bindung an Griet und die Liebe zu dem Leben, das sie führte.
Sie kannte keine Geldsorgen, musste sich keinen Wunsch versagen. Wenn sie etwas wollte, setzte sie es in die Tat um, egal, wie kostspielig es war. Sie lebte in einer großen Wohnung, trug teure Klamotten, besuchte Ausstellungseröffnungen und Premieren von Theaterstücken.
Griet hatte ihm Einlass in eine Welt verschafft, die ihm ohne sie verschlossen geblieben wäre.
Maxim übte zwanghaft den richtigen Ton, das richtige Auftreten, probierte Gesten und Mimik vor dem Spiegel aus. Er fühlte sich ungelenk, wie ein Bauer auf dem Parkett, aber es wurde besser und besser. Nicht, dass er hoffte, sich in Gegenwart von Griets Freunden und Bekannten jemals wohl zu fühlen– es war ihm nur wichtig, von ihnen akzeptiert zu werden.
Es befriedigte ihn, wenn sie ihn auf der Straße erkannten, ihm zunickten oder sogar für ein paar Worte stehen blieben. In solchen Momenten gehörte er dazu. Da konnte er fast vergessen, dass er diese Aufmerksamkeit lediglich der Tatsache verdankte, dass er mit Griet zusammen war.
Aber war er das wirklich?
Mit Griet zusammen?
Maxim war nach Köln gefahren. Allein, denn er brauchte Zeit zum Nachdenken. Björn hatte ihn nicht gedrängt, den Nachmittag mit ihm zu verbringen. Er war so anders als Griet. War einfach da, ohne ständig zu verlangen, zu hinterfragen und zu zweifeln.
Björn stand mit beiden Füßen auf dem Boden und hatte klare Vorstellungen von richtig und falsch.
RICHTIG war seine Liebe zu Maxim.
FALSCH war es, diese Liebe nicht zu leben.
Punkt.
Maxim ließ sich im Strom der Menschen durch die City treiben. Seine Nase nahm die unzähligen Gerüche wahr, seine Ohren registrierten die Stimmen und die Geräusche. Kühler Wind strich ihm über die Wangen. Sein Blick erfasste so rasch so viele Bilder, dass sein Gehirn sie fast nicht speichern konnte.
Leben, dachte er, und etwas in seinem Magen zog sich zitternd zusammen. Das ist Leben.
Nach einer Stunde war er immer noch nicht
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