Spiegelschatten (German Edition)
berührte.
Auf dem Parkplatz stritten sich zwei Spatzen um ein Stück Brot. In einem der abgestellten Wagen wummerten Bässe.
Fröstelnd klappte Bert den Kragen hoch. Ein paar dünne Schneeflocken tanzten in der Luft. Eine setzte sich auf seine Wimpern und er blinzelte sie weg. Er war müde und deprimiert und sehnte sich nach dem Feierabend. Er wollte nicht mehr sprechen, nichts mehr sehen oder hören.
Er wollte allein sein.
Rick schien es ähnlich zu ergehen. Noch am Obduktionstisch hatten sie sich von Titus Rosenbaum verabschiedet. Nun stiegen sie schweigend ins Auto und fuhren schweigend nach Köln zurück. Bert war dankbar für die kurze Atempause.
Vielleicht kündigte sich eine Erkältung an.
Vielleicht war er einfach den langen Winter leid.
Oder er wurde allmählich alt.
*
Schon wieder eine SMS von Cal. Er legte sich richtig ins Zeug.
Wir müssen reden.
Bitte, Romy, weich mir nicht aus.
Ich liebe dich.
So oder ähnlich klangen all seine Nachrichten. Zwischendurch waren sie fordernder geworden. Manche hatten einen aggressiven Unterton gehabt.
Was wirfst du mir eigentlich vor?
Du tust mir Unrecht.
Heißt es nicht: Im Zweifel für den Angeklagten?
Dann wieder war Cal in Selbstmitleid verfallen.
Fühl mich mies.
Dein Schweigen macht mich fertig.
Was habe ich dir denn getan?
Von Liebe war jetzt nicht mehr die Rede. Cal startete Angriffe, die ziemlich unter die Gürtellinie gingen.
Wie kann man nur so selbstgerecht sein?
Du bist nicht der Nabel der Welt.
Rede mit mir oder du kannst mir gestohlen bleiben.
Romy reagierte nicht. Sie wollte Cal mit ihrem Schweigen nicht bestrafen. Sie brauchte einfach Zeit, um ihre Wunden zu lecken.
Und sich zu wappnen.
So verletzt und ungeschützt, wie sie sich fühlte, wagte sie Cal nicht unter die Augen zu treten. Ein einziges Wort von ihm würde genügen, um sie bis ins Mark zu treffen.
LUSINA .
Das durfte sie nicht riskieren.
Noch hatte sich ihr Verdacht nicht bestätigt. Noch bestand, zumindest theoretisch, die Möglichkeit, dass alles ganz anders war.
Einbildung.
Hatte man ihr nicht von Kindheit an eine zu lebhafte Fantasie attestiert?
Cal liebt mich, dachte sie verzweifelt. Er würde mich niemals verletzen.
Aber stimmte das?
Du bist nicht der Nabel der Welt. Du kannst mir gestohlen bleiben.
Es kam ihr gerade recht, dass Greg sie zu sich in sein Büro rief. Sie musste sich zwingen, langsam zu gehen, denn am liebsten wäre sie gerannt, weg von ihrem Handy, weg von Cals Nachrichten.
» Stimmt was nicht?«, fragte Greg, nachdem sie sich auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch niedergelassen hatte.
» Wieso?«
» Du siehst mitgenommen aus. Blass und angespannt.«
» Alles okay«, wehrte Romy ab. Wenn Greg sie weiter so mitfühlend ansah, würde sie noch die Beherrschung verlieren und anfangen zu heulen.
» Sicher?«
Gregs scharfem Blick entging nichts, und er mischte sich ein, wenn er es für nötig hielt. Romy hatte selten einen Menschen mit einer so ausgeprägten Empathie kennengelernt. Sie war seine Stärke. Aber sie machte ihn oft auch unheimlich.
» Absolut.«
Er musterte sie noch einmal prüfend und zog dann einen Ausdruck aus dem Drucker.
» Hier«, sagte er. » Ein zweiter Mord. An einem Studenten in Bonn. Über die Todesart schweigt die Polizei sich noch aus, aber ein Zusammenhang mit dem Mord an diesem Leonard Blum drängt sich auf.«
» Und du willst, dass ich…«
» Du nicht?«
Romy warf einen unwillkürlichen Blick durch die Glasscheiben, die Gregs Büro von dem großen Raum abtrennten, in dem die Kollegen arbeiteten. Es würde böses Blut geben, wenn Greg ihr wieder eine so große Sache anvertraute.
» Aber keine Alleingänge, Romy. Und du hältst mich auf dem Laufenden. Das ist eine Anweisung, hast du verstanden?«
» Ay! Sir!«
Doch da hatte Greg sich schon wieder über seine Tastatur gebeugt.
Romy verließ sein Büro und kehrte an ihren Schreibtisch zurück. Sie betrachtete den Ausdruck der Pressemitteilung.
E. S., Student, wohnhaft in Bonn-Friesdorf.
Ein bisschen wenig an Informationen. Die Polizei hielt sich tatsächlich mal wieder bedeckt. Doch genau das reizte Romy– mehr herauszufinden. Dazu gab es zahlreiche Möglichkeiten. Die erfolgversprechendste hieß Ingo und war immer gern bereit, ihre Anrufe entgegenzunehmen.
» Pangold.«
Romy wusste, dass er ihre Nummer gespeichert hatte und jetzt bloß so tat, als wäre ihm nicht klar, mit wem er sprach.
» Hi, Ingo«, sagte sie. » Wo erwisch ich dich
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