Spiegelschatten (German Edition)
wieder trennen mussten. Und weil Leonard gestorben war.
Jeder Abschied ist ein kleiner Tod.
Wo hatte er das gelesen?
Maxim hatte Leonard nicht besonders gut gekannt, aber er hatte ihn sympathisch gefunden. Ein kluger, zurückhaltender Mensch mit einer Tiefe, die man hinter jedem seiner Worte gespürt hatte.
Sie sprachen kaum über ihn und über das, was ihm widerfahren war. Als wäre das Unglück ansteckend, mieden sie die Berührung damit. Überhaupt unterhielten sie sich wenig. Klammerten sich, jeder für sich allein, an die eigenen Gedanken. Keiner wollte den andern noch trauriger machen.
Oder beunruhigen.
Maxim hatte äußerst beunruhigende Dinge erlebt. Doch darüber zu sprechen, hätte ihnen ein Gewicht verliehen, das er ihnen nicht geben wollte.
Anfangs hatte er es gar nicht bemerkt. Dann hatte er sich seltsam unbehaglich gefühlt. Und schließlich war er sich sicher gewesen, beobachtet zu werden.
Er hatte Blicke gespürt, heimlich und klamm. Sie hatten sich ihm ins Genick gesetzt und seinen Herzschlag stocken lassen. Überallhin hatten sie ihn begleitet, unsichtbar, sooft er sich auch umgeschaut hatte.
Wie ein Detektiv war Maxim vor Schaufensterscheiben stehen geblieben und hatte so getan, als würde er die Auslagen betrachten, während er in Wirklichkeit das Spiegelbild nach einem Verfolger absuchte.
Vergebens.
» Woran denkst du?«, fragte Björn.
Er schnitt gerade Zwiebeln und hatte sich seine Taucherbrille aufgesetzt, damit ihm die Augen nicht so tränten. Maxim konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
» Soll ich dir auch noch die Schwimmflossen raussuchen?«, fragte er.
Björn grinste, und Maxim beschloss, seine seltsamen Erlebnisse weiterhin für sich zu behalten. Vielleicht hatte er sich das alles ja nur eingebildet. Er hörte tatsächlich manchmal das Gras wachsen.
Bald würden die Gäste kommen. Ablenkung mitbringen. Die gedrückte Stimmung vertreiben.
Er sehnte sie herbei.
*
Titus Rosenbaum. Was für ein Name.
» Er hätte Regisseur werden sollen«, sagte Bert. » Oder Museumsdirektor. Meinetwegen auch Opernsänger.«
» Mit Kunst hat Titus es nie so gehabt«, erklärte Rick. » Sehr zum Ärger seines Vaters. Der ist irgendwas Hohes hier im Kölner Kulturamt. Sein Liebstes sind interkulturelle Kunstprojekte.«
» Oh.«
» Genau. Und dann hab mal einen Sohn, der vom Zeitpunkt seiner Geburt an nur eines im Sinn hat: Bulle zu werden.«
Bert schätzte Menschen mit Visionen. Es war nicht das Schlechteste, ein Ziel vor Augen zu haben und alles zu tun, um es zu erreichen. Wenn sie schon mit Kollegen anderer Dienststellen zusammenarbeiten mussten, dann doch bitte mit welchen, die ihren Beruf leidenschaftlich ausübten.
» Wir werden prima mit ihm klarkommen«, versprach Rick. » Er ist keiner dieser Ehrgeizlinge, die ihr Gesicht in jedes Scheinwerferlicht halten.«
» Gut zu wissen«, sagte Bert.
Von solchen, wie Rick sie da beschrieb, gab es mehr als genug. Die Kraft, die sie darauf verwendeten, jeden noch so winzigen Erfolg für sich allein zu verbuchen, fehlte ihnen bei der täglichen Arbeit, der kräftezehrenden Routine, die ihnen Erfolge überhaupt ermöglichte.
» Ich frage mich die ganze Zeit, was für ein Geräusch die Kleine in Sammers Haus gehört hat«, wechselte Rick das Thema.
» In alten Gebäuden gibt es immer irgendwelche Geräusche«, sagte Bert. » Und die Kleine dürfte locker einsachtzig groß sein.«
Das Haus, in dem Erik Sammer gelebt hatte, war gute hundert Jahre alt. Es war komplett saniert worden, sodass nur die äußere Schale noch an sein Alter erinnerte. Innen war es überraschend modern gewesen, mit klaren, freundlichen Linien.
» Geschenkt«, wehrte Rick ab. » Du kennst mein loses Mundwerk doch.«
Sie saßen in Berts Büro, und Bert schaute auf seine Pinnwand, auf der er nun auch ein Foto des toten Erik Sammer angebracht hatte, als Ricks Handy losplärrte.
» Hallo, Titus«, meldete sich Rick. » Neuigkeiten?«
Erik Sammer stammte aus Singen am Bodensee, und Titus Rosenbaum hatte die Kollegen vor Ort gebeten, den Eltern die Nachricht vom gewaltsamen Tod ihres Sohnes zu überbringen. Ricks Reaktionen nach zu urteilen, erstattete Titus ihm jetzt Bericht.
» Hm«, sagte Rick. » Ja.« Er drehte seinen Kugelschreiber zwischen den Fingern, was er manchmal tat, wenn er sich konzentrierte. » Was?« Sein Blick schnellte zu Bert. » Bist du sicher?« Er stand auf und trat zum Fenster. Wieder hörte er zu. » Okay, Titus«, sagte er dann. » Erst mal
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