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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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einem anderen Menschen Betrug?
    Von der Diskussion seiner Mitschüler bekam er so gut wie nichts mit. Sie sprachen über die Unterschiede bei der Arbeit für Bühne, Kino und Fernsehen und redeten sich die Köpfe heiß. Normalerweise hätte Calypso kräftig mitgemischt, doch heute saß er nur da und beneidete sie um ihre Unbefangenheit und die unbeschwerte Leichtigkeit, die sie ausstrahlten.
    Noch während er das dachte, wurde er sich der Ichbezogenheit dieses Gedankens bewusst. Sein Blick fiel auf Ilja, der als Kind Leukämie gehabt hatte, und er schämte sich. Was waren seine Probleme schon gegen das, was Ilja hatte aushalten müssen.
    Doch es gelang ihm nicht, seine Gedanken zu unterdrücken, erst recht nicht seine Gefühle. Er hatte entsetzliche Angst, Romy zu verlieren.
    Wieder schickte er eine SMS los.
    Eingeschaltete Handys waren im Orson streng verboten, und er war schon ein paar Mal aufgefallen, als er telefoniert hatte, doch heute war ihm das egal. Er musste Romy erreichen, unbedingt.
    Sie konnte sich ihm doch nicht einfach entziehen!
    Plötzlich überfiel ihn eine solche Wut auf Romy, Lusina und alles und jeden, dass er sich nur mit Mühe überwinden konnte, auf seinem Stuhl sitzen zu bleiben, statt aufzuspringen und wie ein Irrer gegen die Wand anzurennen.
    In seinem Kopf brauten sich Schmerzen zusammen. Seine Ohnmacht den Dingen und sich selbst gegenüber erschreckte ihn. Seit wann war das so, dass er wie ein Ball auf dem Wasser tanzte?
    Jetzt sagte Lusina etwas, und allein der Klang ihrer Stimme beschleunigte seinen Herzschlag.
    Was machte sie mit ihm?
    Er verabscheute sich für das Hin und Her seiner Empfindungen. Er war ein Idiot, wenn er auch nur im Traum daran dachte, Romy wehzutun.
    Lusina hörte auf zu reden. Es war, als wäre es im Raum mit einem Mal dunkler geworden.
    Und wenn er seine Gefühle für dieses Mädchen ignorierte? War er dann nicht auch ein Idiot?
    Calypso stand auf und verließ den Raum. Er musste sich bewegen.
    Weggehen.
    Um zu sich zu kommen.
    Wie absurd, dachte er, doch er konnte nicht darüber lachen.
    Er musste eine Entscheidung treffen und wusste, dass sie nur falsch sein konnte, denn eine Entscheidung für etwas war immer auch eine Entscheidung gegen etwas anderes.
    Die Liebe zu Lusina wäre das Ende seiner Liebe zu Romy.
    An einer knorrigen alten Linde blieb er stehen und presste die Stirn, so fest er konnte, an den Stamm, der rau und schorfig war wie Elefantenhaut. Der Schmerz tat ihm gut, denn für einen Moment löschte er alles andere aus. Dann setzte er sich auf das abgestorbene Laub und versuchte, nicht zu heulen.
    *
    Die Schutzkleidung hatte er unterwegs in den Sammelcontainer einer Wohnanlage entsorgt, weit genug vom Tatort entfernt. Endlich konnte er aufatmen. Die Erregung pulsierte noch unter seiner Haut und versorgte seinen Körper mit Adrenalin, obwohl er bereits seit Stunden unterwegs war.
    Er war wie gedopt.
    Vollgepumpt mit dieser strahlenden Energie lief er durch die Straßen, geborgen in der Menschenmenge, in der er nicht auffiel. Höchstens, dass ab und zu ein Mädchen ein Auge auf ihn warf.
    Er war daran gewöhnt, angehimmelt zu werden. Es schmeichelte ihm nicht einmal mehr. Er mochte es nicht, wenn eine Frau die Initiative ergriff. Die Weiber taten das immer häufiger, und er bedauerte es, nicht hundert Jahre früher geboren worden zu sein, als ein Mann noch ein Mann war und den Ton angab.
    Wenn einer wählte, dann er. Darauf bestand er. Ein Mädchen, das die Rollen tauschen wollte, ließ er gnadenlos ins Leere laufen.
    Aber er wollte jetzt nicht an Liebe denken, wo er dem Tod noch so nah war.
    In alten Westernfilmen ritzten die Killer für jeden getöteten Gegner eine Kerbe in den Kolben ihres Gewehrs. Das beeindruckte ihn, und er überlegte, ob er sich nicht auch so etwas angewöhnen sollte.
    Er könnte sich einen Baum suchen und seine Erfolge auf dessen Stamm verewigen.
    Einen besonderen, einen heiligen Baum.
    Jedes Mal, nachdem er jemandem den Tod gebracht hätte, würde er diesen Baum aufsuchen und sich mit dem Ritual des Schnitzens von aller Schuld befreien.
    Diese Idee beflügelte ihn, und er beschleunigte seine Schritte, achtete jedoch darauf, sich nicht durch unnötige Hast verdächtig zu machen. Niemand sollte sich später an ihn erinnern, niemand der Polizei einen brauchbaren Hinweis geben können.
    Wie aus dem Nichts tauchte er auf, tat seine Pflicht und verschwand im Nirgendwo.
    Perfekt.
    Die Tatwaffe war er im Wald losgeworden. Ein Stück

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