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Spiegelschatten (German Edition)

Spiegelschatten (German Edition)

Titel: Spiegelschatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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das Wissen, dass sich hinter dieser Fassade ein Tatort verbarg.
    Bert und Rick begrüßten die Kollegen und folgten ihnen ins Treppenhaus.
    Der Tote befand sich am Fuß der Treppe im ersten Stock. Den Oberkörper gegen die Wand gelehnt, den Kopf zur Seite geneigt, die Beine ausgestreckt, das rechte ein wenig angewinkelt, die Hände leicht geöffnet auf dem Schoß, wirkte er im ersten Moment wie jemand, der sich erschöpft hingesetzt hatte, um eine Weile zu verschnaufen.
    Nur dass er totenbleich war.
    Die Blutlache hatte sich dem rotbraunen Anstrich des Holzbodens angepasst und war nur schwer davon zu unterscheiden. Anders als die Blutspritzer, die sich über die schmuddelige, ehemals weiße Wand verteilt hatten und Zeugnis ablegten von dem, was hier geschehen war.
    Der Notarzt hatte seine Sachen schon gepackt.
    » Ich konnte nichts mehr tun«, sagte er bedauernd. » Er war bereits tot, als ich ankam. Schlag auf den Kopf mit einem stumpfen Gegenstand.«
    Bert wechselte einen Blick mit Rick. Wie oft würden sie diesen Satz noch hören?
    Die Augen des Toten waren halb geschlossen. Auch aus ihnen war jedes Leben gewichen.
    Bert betrachtete das weiße Gesicht. So jung, dachte er. So unglaublich jung. Am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre gegangen. Irgendwohin, bloß weg von hier.
    Eine Filmszene kam ihm in den Sinn.
    Bring mich weg von all dem Tod, sagt Mina in Bram Stokers Dracula zu dem Vampir, dem sie verfallen ist.
    Ja, dachte Bert. Weit weg vom Tod und dem grausamen, sinnlosen Sterben.
    Die Kollegin von der Schutzpolizei riss ihn aus seinen Gedanken. Sie war noch nicht lange mit der Ausbildung fertig, und der Notizblock zitterte in ihrer Hand, als sie Bericht erstattete.
    » Die Tatzeit lässt sich exakt bestimmen, weil ein Mitarbeiter des Toten im Auto auf ihn gewartet hat. Sie liegt zwischen zwölf Uhr fünfundzwanzig und zwölf Uhr fünfunddreißig.«
    » Mitarbeiter?«, fragte Bert.
    » Der Tote hat bei den Maltesern gearbeitet. Essen auf Rädern. Er hat einer Frau… Moment…«, sie warf einen Blick auf ihre Notizen, » …einer Frau Schlomag aus dem dritten Stock ihre Mahlzeit gebracht und war wieder auf dem Weg nach unten. Und dann ist er offenbar über dieses… äh… Holzstück gestolpert.«
    Nur eine Armlänge von dem Toten entfernt lag ein gut dreißig Zentimeter langer Holzscheit. Birke, der weißlichen Rinde nach zu urteilen, sauber und ohne sichtbare Spuren von Blut. Er wirkte so fehl am Platz, dass sich die Erkenntnis förmlich aufdrängte, dass es sich bei ihm um ein Hilfsmittel handelte.
    Ein sekundäres Mordwerkzeug.
    Rick nieste. Er zog die Schultern zusammen. Es war sehr kalt hier im Treppenhaus, vor allem weil die Haustür offen stand. Bert fand, dass Ricks Erkältung sich verschlimmert hatte. Seine Augen waren rot umrändert, als wären sie entzündet, und sie wirkten stumpf und glanzlos.
    » Du gehörst ins Bett«, sagte er.
    Rick zog ein benutztes Taschentuch aus seiner Jackentasche, schnäuzte sich, schüttelte aber den Kopf. » Geht schon.«
    Bert wandte sich wieder der Kollegin zu und schaute sie auffordernd an.
    » Der Mitarbeiter vom Malteser Hilfsdienst ist ein gewisser…«, wieder nahm sie ihre Notizen zu Hilfe, » …äh… Peter Waas. Er wartet unten, ist völlig durch den Wind.«
    Wer wäre das nicht?, dachte Bert. Er beschloss, zuerst mit ihm zu sprechen.
    Peter Waas stand fröstelnd neben dem Eingang und zündete gerade mit zitternden Fingern an einer aufgerauchten Zigarette eine neue an. Er inhalierte tief und stieß den Rauch geräuschvoll wieder aus.
    » Eigentlich rauche ich gar nicht«, erklärte er. » Hab’s mal gemacht und gleich wieder aufgegeben. Aber im Handschuhfach lag noch ein Päckchen Zigaretten von irgendwem, und ich war so… fertig, dass ich es genommen hab, und…«
    Er sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Mit der freien Hand fuhr er sich durch das dünne blonde Haar, das sich für einen Augenblick aufstellte und kläglich wieder in sich zusammenfiel.
    » Eben war er noch hier, steigt aus dem Wagen, läuft ins Haus… und kommt nicht wieder. Ich kapier das nicht. Ich meine, wer tut so was? War das ein Raubmord? Ein Amoklauf? Oder was sonst?«
    Wieder zog er heftig an der Zigarette. Die Asche rieselte auf seinen Ärmel. Er bemerkte es nicht.
    » Scheiße«, flüsterte er. » Sie kriegen das Schwein doch, oder?«
    » Beruhigen Sie sich erst einmal.« Bert sah dem Jungen, der allerhöchstens neunzehn war, aufmerksam ins Gesicht.

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