Spieglein, Spieglein an der Wand
Vater mir, jemals wieder Hasch zu rauchen.
Ich werfe einen Lappen auf den Boden: „Bitte was?!“
„Alkohol darfst du gerne trinken, aber ich möchte nicht, dass du andere Rauschmittel konsumierst.“
„Aha. Aber das ist egal.“
„Was?“
Ich wische mit dem Fuß auf dem Lappen über den Boden: „Es ist egal, was du meinst, denn ich bin achtzehn.“
Ich schmettere den schmutzigen Lappen in die Spüle. Mein Vater wirft einen wütenden Blick darauf. Ich weiß genau, dass dieser Lappen sofort in die Wäsche und danach durch ein sauberes Exemplar aus der untersten Schublade ersetzt werden muss. Leider habe ich das dringende Bedürfnis, mich hinzulegen, das muss also warten.
Doch mein Vater stellt sich in die Tür und versperrt mir den Weg: „Du feierst zu viel.“
„Was weißt du denn davon?“
„Ich sehe doch, dass du dich mit nichts anderem beschäftigst. Sogar unter der Woche!“
„Du liebe Güte! Sogar unter der Woche! Ruf ganz schnell die Polizei.“
„Aber wenn du später mal studieren willst? Dann musst du schon etwas dafür tun …“
„Ich habe das schon im Griff. Und außerdem …“
„… bist du achtzehn.“
„Ja, ärgerlich, was? Aber so ist es nun mal. Wenn ich mich also bekiffen will, geht dich das einen Scheiß an.“
Ich habe noch nie zuvor etwas so Grobes zu meinem Vater gesagt. Eigentlich bin ich verdammt gut erzogen. In diesem Haus brüllen wir einander nicht an. Wenn man sich wie ein unmöglicher Teenie aufführen will, dann muss man es tun, indem man stumm und schlecht gelaunt ist. Aber man darf seine Eltern auf keinen Fall anschreien.
„Doch, das geht mich sehr wohl was an.“ Mein Vater hat seine Stimme gesenkt. Sie klingt fast bedrohlich. „Jedenfalls solange du in meinem Haus wohnst.“
„In deinem Haus?“
„Ja, in meinem Haus!“ Mein Vater zeigt auf sich selbst. „Dies ist MEIN Haus, weil ich es bezahlt habe, genau wie das gesamte Mobiliar und das Essen im Kühlschrank und die Elektrizität in den Leitungen und das warme Wasser, mit dem du dich zwei Mal am Tag duschst!“
Darauf will mir nicht so recht eine Antwort einfallen. Außer die Schranktür mit einem Knall zuzuschlagen.
Mein Vater breitet die Arme aus: „Diese Fenster habe ich bezahlt! Und den Küchentisch, die Lampen und den Herd!“
„I get the picture!“
„Tust du das wirklich? Denn sonst kann ich es dir gerne auch noch mal buchstabieren: Solange du deine Füße unter meinem Tisch hast, tust du, was ich dir sage.“
In welchem Jahr lebt mein Vater? 1924? Demnächst will er wahrscheinlich auch noch bestimmen, wen ich heirate.
„Du bist achtzehn“, wiederholt mein Vater. „Im Prinzip kannst du tun, was du willst, auch wenn du dabei dein Leben zerstörst …“
„Jetzt hör aber auf!“
„… und weiterhin Rauschmittel konsumierst …“
„Es ist doch nur Hasch …“
„… dann musst du eben von zu Hause ausziehen.“
Darüber habe ich noch nie ernsthaft nachgedacht. Finanziell bietet sich die Möglichkeit auch gar nicht an. Aber während ich wütend die Treppen hinaufstürme, überlege ich ernsthaft, ob ich es nicht doch aushalten könnte, mit meiner Mutter und Johannes zusammenzuwohnen.
13. März
Johannes Boye Lindhardts fünfzigster Geburtstag fällt natürlich auf einen Samstag. Ein anderer Tag wäre auch gar nicht akzeptabel gewesen, wenn er schon einmal plant, Freunde und Familie zu versammeln. Das Fest findet in einem großen Hotel an der Küste Nord-Seelands statt, wo er für alle Gäste Zimmer reserviert hat. Während des Champagnerempfangs steht meine Mutter kerzengerade neben Johannes. Sie war beim Friseur und hat jetzt genau denselben blonden Pagenkopf wie nahezu alle anderen weiblichen Gäste auch. Um ihren Hals trägt sie zwei Reihen Perlen, sicher auch ein Geschenk von Johannes. Früher hat meine Mutter immer gesagt, Perlen seien was für alte Damen.
Johannes’ Freunde und Verwandte sind allesamt durchtrainiert, schönheitsoperiert und reich. Um die mageren Hälse und dürren Arme der Frauen schlackert teurer Schmuck. Die Männer sind sonnengebräunt. In diesen Kreisen sorgt man dafür, sein Gewicht niedrig und den Körper in Form zu halten. Deshalb gibt es natürlich auch keine Raucher hier. Allerdings steht der ewige Kampf, jung und fit zu bleiben, in scharfem Kontrast zu all dem Alkohol, den diese Menschen in sich hineinschütten.
Ich werde mit acht jungen Snobkindern an einen Tisch gesetzt. Zu meinem Leidwesen stellt sich heraus, dass zu ihnen auch
Weitere Kostenlose Bücher