Spieglein, Spieglein an der Wand
Kasper gehört – er ist nämlich Johannes Boye Lindhardts Großneffe. Zusammen mit dem Brot werden Kommentare überberühmte Freunde, teure Privatschulen und Villen mit Meerblick herumgereicht. Noch bevor die erste Vorspeise überstanden ist, haben wir von einem 150000 Kronen teuren Reitpferd und einem Porsche zum achtzehnten Geburtstag gehört. Das Essen ist dagegen ein Witz. Wir müssen uns durch sieben unterschiedliche „Gänge“ quälen, die allesamt aus einer halben Kammmuschel und einem einzelnen Halm Schnittlauch zu bestehen scheinen. Ich zweifle daran, dass sich irgendeiner der Gäste wirklich für das Menü interessiert. Die meisten der Frauen sind ohnehin so dünn, dass sie vermutlich nur ein Mal die Woche etwas zu essen zu sich nehmen. Stattdessen scheinen die sieben „Gänge“ einen guten Vorwand zu liefern, sieben unterschiedliche Weine zu servieren. Ich genehmige mir ein paar Gläser und spüre, wie die teuren Tropfen meinen Körper einhüllen wie weicher, roter Samt.
Neben mir sitzt die (von mir abgesehen) Einzige in der Runde, die nicht ununterbrochen von sich selbst redet. Erst als wir beim ersten der beiden Hauptgerichte angelangt sind, fällt sie mir richtig auf. Sie hat schwarze Haare und trägt einen kleinen Nasenring.
„Ich heiße Mateus.“
„Ja, hat Kasper schon gesagt.“
„Und wie heißt du?“, frage ich pädagogisch.
„Arendse.“ Sie nickt zur anderen Seite des Tischs hinüber, wo eine hübschere Ausgabe von Paris Hilton gerade lachend ihre blonden Haare in den Nacken wirft. „Das ist meine große Schwester Kassandra. Und ihr Freund Ulrik.“
Kassandra und Ulrik sind das Königspaar unseres Tischs. Einen feinen Hauch hübscher, reicher und aufgeweckter als die anderen Snobkinder. Kassandra isst nichts, redet aber viel, während sie sich hingebungsvoll an Ulrik schmiegt.
„Ihr seid euch nicht besonders ähnlich“, sage ich.
„Nee, wirklich nicht. Was für ein Scheißfest, findest du nicht auch?“
„Ja, und wie. Gehst du aufs Gymnasium?“
Arendse nickt. „In die Elfte.“
„Und wo?“
„Øregård. Schön schrecklich da.“
„Und deine Schwester?“
„Die hat letztes Jahr Abi gemacht. Auf dem Herlufsholm. Da hat sie auch Ulrik kennengelernt.“
Nach dem zweiten Hauptgericht verschwindet Arendse vom Tisch und kommt nicht mehr wieder. Kasper kommt zu mir herüber und nimmt ihren Platz ein. Die Rotweinzähne stehen ihm nicht besonders gut.
„Weißt du, was ich gestern rausgefunden habe?“
„Nein, was denn?“, frage ich und spähe zur Terrasse hinaus, wo Arendse auf einer Bank sitzt und raucht.
„Du weißt schon, Jonathan, ne? Mit dem du befreundet warst?“
Ich sehe ihn ungläubig an. Glaubt er etwa, er müsste meine Erinnerung darüber auffrischen, wer Jonathan ist?
„Ja, ich kann mich gerade noch so an ihn erinnern“, sage ich sarkastisch.
Kaspers Zunge fährt mit einem saugenden Geräusch über seine Vorderzähne. „Weißt du, mit wem er mal zusammen war?“
„Nein, mit wem?“
„Also, das war geheim. Niemand durfte etwas wissen. Es ging wohl einen Monat lang, dann hat er mit ihr Schluss gemacht.“
„Wann?“
„Als sie in der Zehnten waren. Im Herbst.“
Also vor zwei Jahren. Während Nick auf dem Internat war und bevor Jonathan anfing, sich so merkwürdig zu benehmen.
„Jonathan war mit …“ Vor der Nennung des Namens macht Kasper eine Kunstpause. Fehlte nur noch, dass er mit den Fingern einen Trommelwirbel auf den Tisch klopft.
„Mit wem?“
„Du kennst sie sehr gut.“
„Kronprinzessin Mary?“
„Nein, mit Sandra, Mann!“
„Sandra? Aus deiner Klasse? Nicks Schwester?“
„Ja, verdammte Hacke!“ Kasper schäumt fast über vor Begeisterung. „Sie waren ein paar Wochen lang zusammen. Ich habe es von ihr.“
Man kann viele unvorteilhafte Dinge über Sandra sagen, aber sie ist nicht der Typ, der bei solchen Sachen lügt. Es scheint auch sehr glaubwürdig, dass sie ihr Verhältnis geheim gehalten hatten, denn Nick wäre ausgerastet, wenn er davon erfahren hätte.
Mit einem Mal fallen ein paar Groschen bei mir.
Sandra kam immer in Nicks Zimmer, wenn Jonathan und ich zu Besuch waren – und mich wollte sie dort garantiert nicht treffen. Außerdem hatte sie schon immer etwas gegen Liv. Sandra und ich hätten damals einen Club bilden und konspirative Treffen abhalten können, um zu überlegen, wie man Liv und Jonathan auseinanderbringen könnte. Denn daran hatten wir offenbar beide großes Interesse.
„Wir waren
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