Spieglein, Spieglein an der Wand
gestern zusammen weg“, erklärt Kasper und greift nach seinem Weinglas. „Sandra hat sich total die Kante gegeben, und dann sah sie anscheinend irgendeinen Typen, der sie an Jonathan erinnerte – denn plötzlich saß sie da und hat geflennt.“ Kasper hebt herrisch sein leeres Glas, und sofort kommt ein Kellner herbeigespurtet und schenkt ihm Wein nach. „Du kennst Sandra. Sie ist eine richtige Bitch. Ganz hübsch, vor allem die Titten sind okay, aber sie hat auch was Billiges ansich, oder? Bei allen Partys ist sie stockbesoffen, liegt irgendwo in der Ecke und knutscht mit irgendwelchen Typen. Besonders viel Stil hat sie nicht, oder?“
Ich habe keine Lust, seine Beleidigungen zu kommentieren.
Kasper lässt den Wein im Glas kreisen und redet weiter, er scheint ganz euphorisch über den ganzen Tratsch und über sich selbst: „Er hat sie nach ein paar Wochen fallen gelassen.“
„Ja, das sagtest du bereits.“
„Aber sie war anscheinend total verknallt in ihn.“
„Und wann hat sie dir einen Korb gegeben?“
„Äh, was?“
„Da du sie die ganze Zeit disst, nehme ich an, dass sie dich irgendwann abgewiesen hat. Du bezeichnest sie ja fast schon als Nutte.“
„Sie hat doch auch wirklich schon mit jedem was gehabt.“
„Aber nicht mit dir, oder?“
„Diese Wandermatratze interessiert mich doch gar nicht.“
„Da habe ich aber was ganz anderes gehört. Nämlich, dass du ihr seit der Oberstufe nachrennst.“
„Das ist eine verdammte Lüge.“
„Das glaube ich nicht, Kasper.“
Ich stehe auf, ehe er etwas erwidern kann. Irgendwann wird seine Antwort kommen. Wahrscheinlich auf dem Basketballplatz, in Form eines Ellbogens in meinem Gesicht. Ich weiß nicht, ob Sandras befleckter Ruf das wirklich wert war, aber Kaspers bekloppter Gesichtsausdruck war es allemal.
Draußen auf der Terrasse tritt Arendse ihre Zigarette aus und geht zum Wasser. Ich habe die Terrassentür fast erreicht, als jemand mit dem Besteck gegen sein Glas klopft. Johannes Boye Lindhardt ist aufgestanden, um eine Rede zu halten. Langsam bewege ich mich rückwärts zur Schiebetür, durch die ich entkommen kann, während Johannes sich für die wunderbaren Geschenke bedankt.
Meine Finger umklammern den Türgriff.
Johannes behauptet gerade, das beste Geburtstagsgeschenk habe er schon vor ein paar Tagen bekommen. Er blickt auf meine Mutter herab. „Denn am Dienstag hat diese schöne Frau Ja dazu gesagt, mich zu heiraten.“
Ich hatte keine Ahnung.
Die Gäste johlen und klatschen, Gläser werden erhoben und Toasts ausgesprochen. Die Augen meiner Mutter suchen nach mir. Ich schiebe die Tür auf und schleiche nach draußen.
Der Cognac steht auf einem Tisch direkt neben der offenen Hintertür der Küche. Er verschwindet in der Tasche meines Jacketts, als die Köche mir gerade den Rücken zudrehen. Dann gehe ich zum Meer und pinkle an eine Klippe. Es ist dunkel geworden, als ich am Strand sitze und mir den Cognac hineinwürge. An der schwedischen Küste gegenüber blinken rote und weiße Lichter. Jonathan taucht auf, so, wie er es immer noch hin und wieder tut. Besonders, wenn ich betrunken und einsam bin und das Leben mir mal wieder einen Arschtritt verpasst hat. Plötzlich steht er in seiner alten Armeejacke neben mir.
„Meine Mutter heiratet wieder. Den weltgrößten Idioten.“
Jonathan lächelt nur.
„Das ist nicht lustig! Ich ertrage ihn einfach nicht.“
Ich weiß genau, dass ich wie ein eifersüchtiger Achtjähriger klinge.
„Ich finde nur, dass sie sich so verändert hat. Hast du denn nicht gesehen, wie ähnlich sie all diesen geklonten Frauen da drinnen mit einem Mal sieht?“
Jonathan zuckt die Achseln.
„Jaja“, höhne ich, „sie sah schon seit Jahren nicht mehr so glücklich aus. Ich weiß, ich weiß.“
Jonathans perfektes Profil zeichnet sich am Nachthimmel ab. Er vergräbt seine Hände in den Ärmeln der Armeejacke. Einen Moment lang denke ich, er wird seine Hand auf meine Schulter legen und ich werde alle meine Fragen noch einmal stellen. Und heute wird er mir darauf antworten.
Noch ein Schluck.
„Das bedeutet wohl, dass sie nie wieder mit meinem Vater zusammenkommt“, sage ich, „… oder?“
Doch er ist weg. Ein paar Sterne blinken hinter den dunklen Wolken hervor. Die Kälte zieht durch den Sand zu mir herauf.
„Ich vermisse dich“, murmle ich.
„Mit wem redest du denn da?“
Arendse steht nur ein paar Meter neben mir. Der Wind lässt das schwarze Haar um ihr Gesicht tanzen.
„Mit
Weitere Kostenlose Bücher