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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Bruhn
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gehen, aber ich packe ihr Handgelenk und ziehe sie zurück. Wenn sie auf Mädchen steht, warum flirtet sie dann mit mir, sobald Rasmus nicht in der Nähe ist? Das ist nicht fair. Genau wie es nicht fair ist, dass sie ihren tollen Körper in so enge Klamotten zwängt und man gar nicht anders kann, als hinzusehen.
    „Wenn du auf Mädchen stehst, warum hast du dann keine Freundin?“, frage ich.
    „Warum hast DU keine?“, zischt sie zurück. „Du stehst doch auch auf Mädchen, oder?“
    „Ich bemühe mich zumindest, eine zu finden!“ Total erbärmlich, aber wenigstens wahr. „Ich habe dich noch nicht einmal mit einem Mädchen reden sehen, wenn wir im Close waren.“
    „Im Close sind ja auch vor allem Männer!“
    „Ja, umso mehr wundert es mich, dass du immer wieder Lust hast, dahinzugehen. Du sitzt doch nur da und glotzt die ganze Zeit Rasmus an.“
    Sie befreit sich mit einem Ruck aus meinem Griff: „Das geht dich gar nichts an!“
    Wenn sie so wütend ist, liegt das vielleicht daran, dass ich der Wahrheit nahe bin.
    „Vielleicht bin ich einfach nur der Meinung, du hättest es verdient, wenn mal jemand ein bisschen mit dir flirtet“, schreit sie.
    „Also tust du das nur aus Mitleid?“
    Diese Frage mit Ja zu beantworten, traut sie sich dann doch nicht. Stattdessen verschränkt sie ihre Arme über ihren Zuckerhüten und starrt beleidigt in den Hof.
    „ ICH habe ja nur meine Zweifel“, sage ich, „und ich glaube, dir geht es genauso. Denn es gab doch immerhin ein paar Typen in deinem Leben. Vielleicht hast du diese Entscheidung ein bisschen zu schnell getroffen?“
    Sie dreht sich zu mir um und sieht mich mit einem Blick an, mit dem sie Stahl durchschneiden könnte. „Du glaubst also, das ist eine Entscheidung? So, wie wenn man überlegt, ob man dieses Jahr nach Kos oder lieber nach Korfu fliegen will?“
    „Ich sage ja nur …“
    „Will ich dieses Jahr lesbisch sein?“
    „… wenn du schon …“
    „Oder soll ich lieber nach Schwanz-City fahren?“
    „… mit vier Jungs im Bett warst …“
    „Das ist keine Entscheidung, du Trottel!“
    „… und es dir eigentlich gut gefiel …“
    „Du solltest dich mal selbst reden hören!“
    „… bist du vielleicht doch nicht ganz so lesbisch!“
    Juliane atmet heftig. Leider ist es nicht die Form von Erregung, die ich mir erhofft hatte. Sie schüttelt den Kopf und schiebt ihre Unterlippe zu einer ungläubigen Grimasse vor, weil sie nicht fassen kann, was für ein hoffnungsloser Fall ich bin. „Es gab eine Zeit, in der ich mit Jungs ins Bett gegangen bin, aber das tue ich nicht mehr. Es war ein Riesenfehler!“
    Zum zweiten Mal an diesem Tag entfernt sich ein temperamentvoll wippender Pferdeschwanz von mir. Wir sind also zu dem Schluss gekommen, dass ich ein Trottel und ein Idiot bin, und dass Juliane einen Fehler begangen hat, als sie mit Mikkelaus Svendborg, seinem Mannschaftskameraden, dem Assistenztrainer und dem Typen aus der Parallelklasse in der Kiste war.
    Oder sie begeht jetzt einen Fehler.
    „Denk mal drüber nach …“, murmle ich.
    Aber sie ist längst gegangen.

30. März
    Wenn Winky nicht Winky ist, heißt er Jeppe und führt einen Stoffladen in Østerbro. Es sind gerade keine Kunden da, also macht Jeppe uns in den angrenzenden Räumen Tee und serviert ihn in kleinen, bunten Gläsern. Dazu gibt es rosafarbene Zuckerwürfel in einer alten Porzellanschale und weiße Baisers auf einer Tortenplatte.
    „Esst nur“, Jeppe wedelt mit dem Arm und seufzt. „Ich vertrage sie sowieso nicht. All dieser Zucker.“
    „Schöner Laden“, sagt Rasmus.
    Jeppes gequälter Gesichtsausdruck wird von zufriedenem Stolz abgelöst. „Und er gehört mir ganz allein. Ich habe selbst einen neuen Boden verlegt, alle Regale gebaut und das Licht installiert.“
    Auf einer Seite seines Gesichts schimmern noch immer gelbe Schatten. Und die große Narbe an der Lippe ist schwer zu übersehen. Sie muss mit unzähligen Stichen genäht worden sein. Auf der rechten Kopfhälfte hatte man ihm die Haare abrasiert, um die Wunde hinter dem Ohr nähen zu können. Jeppe windet sich unter meinem Blick und ich erkenne etwas in seinen Augen wieder. Etwas von Liv.
    Die Scham des Opfers.
    „Es heilt jetzt eigentlich ziemlich schnell. Besonders, nachdem die Fäden gezogen wurden.“
    „Ja, natürlich“, sage ich schnell.
    „Ich bin es nur einfach leid, die ganze Zeit einen Hut zu tragen, also müssen die Leute es jetzt mit ansehen, auch wenn ihnen schlecht davon wird, mir ist

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