Spieglein, Spieglein an der Wand
es egal.“
„Davon wird einem doch nicht schlecht“, lüge ich.
„Meine Mutter wurde ohnmächtig, als sie mich sah. Aber das war auch am Tag danach, im Krankenhaus. Und ich hatte keine Chance, eine Damage Control an der Fassade durchzuführen. Die Ärmste.“
Du Ärmster, denke ich.
Jeppe sieht mich fragend an, also blicke ich zu Rasmus hinüber, denn es war seine Idee, hierherzukommen. Doch ausnahmsweise bleibt Rasmus stumm. Er beißt in ein großes Baiser und die weiße Zuckermasse krümelt auf den Boden.
„Warst du eigentlich mal auf einer Party vom Engel?“, frage ich Jeppe.
„Vom Engel? Ja, klar war ich da. Aber ehrlich gesagt fand ich, dass es ein aufgebauschter Quatsch war. Manche Leute haben einfach zu viel Geld, um sich selbst in Szene zu setzen.“
„Danke!“, sage ich so laut, dass Jeppe fast vom Stuhl fällt. „Genau das habe ich schon die ganze Zeit gesagt!“
„Versteh mich nicht falsch, Partys und Shows sind tolle Sachen, aber wenn man das unbedingt machen will, braucht man ein bisschen Stil, anstatt das Ganze in Geschmacklosigkeiten ausarten zu lassen … Aber warum seid ihr eigentlich gekommen?“
Dabei sieht er unverwandt Rasmus an, der sich an seinem Baiser verschluckt und es in weißen Wölkchen über den Tisch hustet.
„Das war Rasmus’ Idee“, antworte ich.
Rasmus hustet sich aus und sagt dann: „Wir wollten sehen, wie es dir geht.“
„Beschissen, mein Junge. Ich kann nicht schlafen, habe überall Schmerzen und nach sieben Uhr wage ich mich abends nicht mehr auf die Straße. Außerdem bekomme ich in völlig unangemessenen Situationen Panikattacken. Und das Einzige, was mein Arzt mir empfehlen kann, sind irgendwelche Pillen, die ich nicht nehmen will, denn schließlich bin doch nicht ich derjenige, der krank im Kopf ist.“
Rasmus wird genauso weiß wie das Baiser. „Waren es die Typen von der Wurstbude?“
„Ja. Sie haben mich oben in Christianshavn entdeckt.“
„Da draußen erst?“, frage ich. „Kam denn kein Taxi?“
„Oh doch Honey, es kamen viele. Aber es gibt einige Taxifahrer in Kopenhagen, die kleine Dragqueens in Stöckelschuhen nicht so gerne spazieren fahren. So ist das leider.“
„Aber was ist mit der Polizei?“, frage ich. „Haben sie sie nicht gefunden?“
„Nee, soweit ich weiß nicht. Sie haben einen Bericht geschrieben und alles, aber vielleicht haben sie auch gar keine richtige Lust zu suchen.“
„Nein, verdammt!“, empört sich Rasmus laut. „Das ist doch nicht fair.“
„Nein, ist es nicht. Auch nicht, dass ich von solchen Typen zusammengeschlagen wurde, die ich eigentlich schon vor Jahren losgeworden zu sein glaubte, als ich von Thyborøn in die Großstadt gezogen bin. Fast hätte ich mein Ohr in einer Plastiktüte ins Krankenhaus tragen müssen.“
„Ja, aber, hatten die Messer dabei oder …“
„Messer? Aber wozu? Sie haben es einfach mit den Füßen abgetreten.“
Das abgetretene Ohr jagt Rasmus von seinem Stuhl hoch und lässt ihn im Laden umhergehen. Einer von uns müsste etwassagen, aber keiner tut es, und es kommen auch keine Kunden zur Tür herein und retten uns. Genau wie an jenem Abend auf der Strøget, als niemand kam und uns rettete.
Sie haben ihm das Ohr abgetreten.
„Entschuldige!“ Rasmus schlingt seine Arme um Jeppe. „Ich hätte sie nicht provozieren dürfen. Es tut mir so leid.“
„Es sei dir verziehen, mein Junge. Und jetzt lass mich bitte los. Du drückst genau gegen meine geprellten Rippen.“
„Was kann ich tun? Gibt es nicht irgendwas, was ich tun kann? Ich könnte die schweren Sachen ins Lager tragen!“
Jeppe hebt die Teekanne hoch. „Kannst du nicht einfach noch eine Kanne Tee kochen?“
Rasmus nimmt die Kanne und geht in die angrenzenden Räume. Er beginnt zu pfeifen und wirkt unpassend erleichtert darüber, dass man ihm verziehen hat. Vielleicht ist das typisch Rasmus, alles in rasendem Tempo hinter sich zu lassen.
„Du bist aus Thyborøn?“, frage ich.
„Ich WAR aus Thyborøn.“ Jeppe schlürft Tee in sich hinein und stellt die Tasse ab. „In der Provinz war es nicht so leicht, ein kleiner, mädchenhafter Typ mit einem Hang zu Frauenklamotten zu sein, das kann ich dir sagen.“
„In Kopenhagen ist es das auch nicht. Offenbar.“
Pfeifen aus dem Hintergrund. Winky sieht mich fragend an.
„Ich hatte einen Freund“, murmle ich leise, „aber er ist momentan nicht hier. Er …“
„Du kanntest diesen Jungen, der verschwunden ist. Lasse hat mir davon erzählt. So
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