Spiel Der Sehnsucht
Lucy zurück. »Es fällt mir nur schwer, meiner Familie vorzuspielen, daß es uns gut geht.«
»Dann spiel doch nichts vor«, sagte Ivan. Er hob die Hand und strich mit seinen Knöcheln sanft über Lucys Hals.
Lucy schluckte schwer. »Wie soll ich das anstellen? Soll ich mein Unglück hinausposaunen? Willst du das? Oder möchtest du ihnen etwas über dein eigenes Unglück erzählen?«
Ivan beugte sich näher zu Lucy. »Ich will, daß du deiner Familie nicht vorspielen mußt, es ginge dir gut. Ich kann machen, daß es dir gut geht, und wir beiden wissen, wie.«
Gleich würde er sie küssen, das konnte Lucy in der Tiefe seiner blauen Augen lesen. Und sie wollte geküßt werden. Sie wollte, daß er sie seinem männlichen, erotischen Zauber unterwarf.
Ihr Verstand sollte dagegen sein, doch diesen Verstand schien sie im Augenblick verloren zu haben. Ihre gegenseitige körperliche Anziehungskraft war der einzige Punkt, in dem sie Ivan gleichwertig entgegentreten konnte, der einzige Punkt, in dem ihre Ziele und ihr Verlangen dieselben waren.
Verlangen.
Sie beugte sich vor in sehnsüchtiger Erwartung des Kusses.
»Lucy! Tante Luuu-cy!«
Die fünfjährige Grace stand unten am Fuß der Treppe, hinter ihr ihre siebenjährige Schwester Charity. »Mama sagt, du sollst schnell machen.«
»Nein«, verbesserte Charity sie mit der Wichtigkeit einer älteren Schwester. »Mama sagte, was treiben die da oben? Es ist noch Tag und sie sollten lieber nicht ...
nicht ...« Sie zuckte die Schultern. »Den Rest habe ich vergessen.«
Lucy war beim ersten Ton von Ivan weggesprungen.
Jetzt eilte sie die Stufen hinab, wobei ihr peinlich bewußt war, wie gerötet ihre Wangen sein mußten. Was hatte Hortense gemeint?
Streng sah Lucy die beiden kleinen Mädchen an. »Wie oft habe ich euch Kindern schon gesagt, ihr sollt nicht...«
Sie unterbrach sich, als die beiden schuldbewußt zu ihr aufblickten. Grace war blond, blauäugig und hatte runde Babybacken. Charitys ernste graue Augen, ihr dunkleres Haar und das hübsche Gesicht deuteten bereits die schöne junge Frau an, zu der sie eines Tages heranreifen würde. Beide Mädchen sahen Lucy aufmerksam an.
Lucy ging in die Hocke und umfaßte die beiden mit den Armen. »Wahrscheinlich schadet es nicht, wenn man im Haus ein bißchen rennt. Aber paßt auf die Vasen auf.«
Sie blickte in die zwei unschuldigen Gesichter. »Ihr seht beide sehr hübsch aus. Wer hat euer Haar frisiert?«
»Ich habe Gracies Haar gemacht«, sagte Charity. »Und meines hat Prudence gekämmt.«
»Ihr seid alle so groß geworden. Jetzt seid ihr nicht mehr meine kleinen Babies.«
»Papa sagt, daß es bald ein neues Baby in der Familie geben wird«, lispelte Charity.
»Das hat er gesagt?« Lucy war überrascht, daß Graham vor den Kindern über solche Dinge sprach.
»Wir haben in der Bibliothek Verstecken gespielt, da haben wir gehört, wie er sagte, ein Baby sei im Ofen.
Aber wir können es nicht finden. Hilfst du uns suchen?«
fragte Grace.
Lucy lachte und drückte ihre Nichten fest an sich.
Warum hatte sie sich früher dieses Vergnügen so selten gegönnt? Sie hatte die Kinder studiert, analysiert und versucht, das beste System zu finden, um sie belehren und zu disziplinieren. Doch sie hatte sich nicht die Zeit genommen, sich an ihnen zu erfreuen oder sie zu lieben.
Das wollte sie nun nachholen.
Sie kitzelte erst Gracie, dann auch Charity. Beide wan-den sich kichernd in ihren Armen, doch sie machten keinen Versuch davonzulaufen. Statt dessen kitzelten sie Lucy wieder. Lucy lachte, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Rücken, so daß sie alle drei unter lautem Gelächter auf dem Boden landeten.
Ivan war oben an der Treppe stehengeblieben. Doch als Lucy und ihre Nichten zu Boden fielen, eilte er die Stufen hinab. »Sei vorsichtig!« sagte er zu Lucy, ergriff ihre Hände und zog sie hoch. »Du mußt jetzt aufpassen und darfst dich nicht von diesen Kindern überrennen lassen.«
»Aber ich will mich überrennen lassen«, antwortete Lucy, zog die Mädchen an sich und legte die Arme um ihre Schultern. Sie blickte zu Ivan auf und versuchte den Grund für seinen Ärger zu erraten. War es die Sorge um sein Kind? Oder war es Eifersucht auf die Zuneigung, die sie zu ihren Nichten empfand?
Sie wollte es herausfinden.
Sie zauste Charitys Haare und streichelte Gracies rundliche Wange. »Findest du nicht, daß Kinder wundervoll sind? So frisch und neu. So unverbildet. Sie wollen nur geliebt werden. Liebe sie,
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