Spiel Der Sehnsucht
daß ihr das nichts ausmachte.
Obwohl es sie schmerzte, daß er sich von ihr fernhielt, so wäre seine Nähe während ihrer Übelkeitsanfälle wahrscheinlich noch schwerer zu ertragen gewesen.
Sie erreichten ihr Ziel, als die Dämmerung in Nacht überging. Houghton Manor war erleuchtet wie für ein Fest; hinter jedem Fenster brannten Lichter. Lucy wußte, daß weder ihre Mutter noch Hortense eine solche Extra-vaganz angeregt haben konnten. Die Festbeleuchtung mußte auf Grahams Konto gehen, der über die Tatsache, einen Grafen zum Schwager bekommen zu haben, noch begeisterter zu sein schien, als Lucy es angenommen hatte.
Alle kamen heraus, um sie zu begrüßen, sogar die Jüngsten, Charity und Grace. Nie war Lucy so froh gewesen, ihre Familie zu sehen. Seit sie Ivan kannte, hatte sie begonnen, sie mehr als zuvor zu schätzen. Sie umarmte sie alle nacheinander und nahm auch Graham nicht aus.
Trotz seiner gelegentlichen Kleinlichkeit war er ein guter Bruder, der sich stets um ihr Wohlergehen gesorgt hatte.
Als ihre Mutter sie in die Arme schloß, war Lucy den Tränen nahe.
»Oh, mein Liebling, mein Kindchen«, gurrte Lady Irene und hielt Lucy ganz fest. »Du hast mir so gefehlt.« Sie umfaßte Lucys Gesicht mit beiden Händen und drückte ihr einen Kuß auf, wobei sie ihre Tochter mit strahlenden, hoffnungsvollen Augen ansah.
Lucy wußte, was dieser Blick bedeutete. Doch sie war noch nicht bereit, über ihren Zustand zu sprechen, solange ihre Gefühle gegenüber Ivan noch so widersprüchlich waren. Vor allem nicht hier in der Eingangshalle, wo alle um sie herumstanden.
»Du siehst erschöpft aus«, stellte ihre Mutter mit wis-sendem Blick fest.
»Der Tag war äußerst ermüdend. Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich am liebsten gleich zu Bett gehen.«
»Ich habe dein altes Schlafzimmer hergerichtet«, sagte Hortense und hängte sich bei Lucy ein. Sie warf einen Blick auf Ivan und flüsterte ihrer Schwägerin zu: »Und ich habe eine weitere Matratze in das Bett gelegt.«
Lucy rang sich ein schwaches Lächeln ab. Doch innerlich begann sie zu zittern. Sie würde mit Ivan ein Zimmer teilen müssen. Daran hatte sie während der ganzen quälenden Reise nicht gedacht.
»Nun, Hortense«, fiel Lucys Mutter ein, »du mußt dich um deine Kinder kümmern, und ich werde mich um mein Kind kümmern. Komm, Lucy! Ich helfe dir beim Auspacken, während Ivan und Graham in der Bibliothek etwas trinken können.«
Lucy blickte zu Ivan hinüber, der Hut und Handschuhe noch immer in der Hand hielt. Für einen Mann, der den ganzen Tag zu Pferd gesessen war, wirkte er noch erstaunlich frisch. Im Gegenteil, so windzerzaust sah er noch besser aus als sonst.
Er erwiderte Lucys Blick, dann wandte er sich Graham zu und begrüßte ihn ohne Verlegenheit.
»Ein Glas irischer Whiskey käme mir sehr gelegen«, meinte er.
»Dann komm mit«, erwiderte Graham.
Damit ging die Gesellschaft auseinander - Ivan zu seinem Getränk, das ihm in letzter Zeit immer mehr zuzu-sagen schien, Hortense um nach ihrem lärmenden Nach-wuchs zu sehen, und Lucy, um sich den Fragen ihrer Mutter zu stellen.
»Nun?« begann Lady Irene, nachdem sich kaum die Tür zum Schlafzimmer hinter ihnen geschlossen hatte.
»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten, die du deiner Mutter mitteilen möchtest?«
Lucy sank auf die Couch unter dem Fenster. Wie oft hatte sie hier gesessen und sich ihre Zukunft ausgemalt, doch nie hatte sie sich vorgestellt, mit einem Mann verheiratet zu sein, der sie nicht liebte und keine Kinder wollte.
»Darf ich wenigstens meine Reisekleidung ablegen, ehe du deine Inquisition beginnst?« Sie unterbrach sich, als sie bemerkte, wie verletzend ihre Worte klangen.
Schließlich war es ihre Mutter, die vor ihr stand - ihre Mutter, die sie liebte und nur ihr Bestes wünschte. Sie durfte ihre schlechte Laune nicht an ihr auslassen.
Lucy sah ihre Mutter an, deren Gesicht keine Emotion verbergen konnte, weder Erstaunen noch Neugierde.
Wenigstens sie würde über Lucys Schwangerschaft begeistert sein. Lady Irene liebte kleine Kinder, besonders ihre eigenen Enkel. »Es tut mir leid, Mama, es war ein so langer, anstrengender Tag und - und ich bin seit einiger Zeit ziemlich schlechter Stimmung.«
»Seit einiger Zeit?« Lady Irene kam näher an Lucy heran. Ihre Augen funkelten vor gespannter Erwartung.
»Hast du auch andere Veränderungen an dir wahrge-nommen?«
Lucy konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Du meinst Weinerlichkeit, Übelkeit oder
Weitere Kostenlose Bücher