Spiel Der Sehnsucht
daß es Ihnen leid tut«, drängte Lucy.
Sie beugte sich vor und legte eine Hand auf den Arm der alten Frau. »Sagen Sie ihm, daß es Ihnen leid tut«, wiederholte sie.
Diesmal erhielt sie keine Antwort. Sie blieb sitzen, die Hand auf Lady Antonias Arm, bis sie meinte, daß diese schließlich eingeschlafen sei. Dann stand sie auf und ging. Sie fühlte sich noch erschöpfter und bedrückter als zuvor. In diesem Haus, in dieser Familie gab es soviel Traurigkeit, und nun war ein neues Unglück hinzuge-kommen.
Derek half ihr in ihr Zimmer zurück, und auf ihre Einladung hin blieb er noch eine Weile bei ihr sitzen. Er las ihr vor, was für ihn eine gute Übung und für Lucy eine Ablenkung bedeutete. Sie wollte jetzt nicht allein sein.
Als jedoch im Hof ein Hufeklappern Ivans Rückkehr ankündigte, nickte sie Derek, der sie bittend ansah, zu.
»Schon gut, Derek, geh nur. Aber ...« Lucy zögerte, doch es nützte nichts, Probleme auf die lange Bank zu schieben. »Derek, bitte ihn, zu mir zu kommen, ja? Er und ich, wir müssen miteinander reden.«
Es dauerte zwanzig Minuten, bis Ivan kam. Zwanzig Minuten, die sich für Lucy wie zwanzig Stunden dehnten. Sie wußte genau, was sie Ivan sagen wollte, aber sie hatte noch keine Ahnung, wie sie es sagen sollte.
Er kam herein, ohne anzuklopfen, so daß Lucy erschrocken auffuhr.
Sie saß im Bett, angelehnt an etliche Kissen, und sah im Vergleich zu Ivan, der vor männlicher Vitalität nur so strotzte, erbärmlich und bemitleidenswert aus. Er war erhitzt und windzerzaust und wirkte fast wie ein Stallknecht. Ein zigeunerischer Stallknecht mit einem fun-kelnden Ohrring.
Für Lucy war er weder Zigeuner noch Graf, sondern eher eine unglückselige Mischung aus beiden. Wenn sie ihn so ansah, fürchtete sie, er würde niemals wirklich glücklich werden. Und gewiß war sie selbst nicht die Person, ihn glücklich zu machen.
»Danke, daß du gekommen bist«, sagte sie, nachdem er in der Nähe der Tür stehengeblieben war. »Wir müssen miteinander reden.«
Ivan ballte seine Hände. »Derek sagte mir, du seist in ihrem Zimmer gewesen. Wenn du dich zu ihrer Fürspre-cherin machen möchtest, kannst du dir die Worte sparen.«
Lucy schüttelte den Kopf. »Ich möchte über uns sprechen. Über unsere Ehe.«
Ivan wurde wachsam. »Was ist damit?«
Lucy fühlte ihre Entschlußkraft wanken. Obwohl sie das Beste für beide Beteiligten vorschlagen wollte, fiel es ihr schwer, es auszusprechen.
»Wir hätten niemals heiraten sollen!« stieß sie schließ-
lich hervor. »Du weißt das, ich weiß das. Nun - nun, da ich nicht mehr schwanger bin, gebe ich dich frei. Du brauchst nicht mit mir verheiratet zu bleiben.«
Ivans Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln.
»Du kannst dich nicht so einfach scheiden lassen.«
»Das weiß ich, Ivan«, flüsterte Lucy. »Aber ich weiß auch, daß du mich nicht liebst.«
»Seit wann ist Liebe eine Voraussetzung für die Ehe?«
»Und du willst auch nicht geliebt werden«, fuhr Lucy fort, ohne auf seinen Einwurf einzugehen.
»Ich frage dich noch einmal: Was hat Liebe mit Ehe zu tun?«
»O Gott! Mußt du immer so zynisch sein! Soll ich dir bestätigen, daß du der einzige Mensch auf Gottes Erdboden bist, der niemanden braucht und der sich selbst genügt? Bitte sehr, du hast recht. Du brauchst überhaupt niemanden, und am wenigsten brauchst du eine Frau.
Aber ich, ich brauche Menschen! Ich brauche eine Familie. Und nachdem du das nicht für mich sein willst, nachdem du das niemals für jemanden sein wolltest, werde ich - werde ich zurück nach Somerset gehen und dort bei meiner Familie leben. Du brauchst dich nicht mehr mit mir zu belasten. Ich befreie dich von deiner lästigen Verpflichtung«, endete sie heiser.
Ivans Gesicht schien wie aus Stein gemeißelt. Seine Le-derhandschuhe spannten sich über den Knöcheln seiner Fäuste. Als er sprach, war seine Stimme unbewegt: »Ich habe dir gesagt, daß ich dich nicht verlassen würde, und dabei bleibe ich. Es gibt keinen Grund, daß es nicht weitergehen sollte wie bisher. Wenn nicht sogar besser.«
Er kam einen Schritt näher und fuhr mit weicherer Stimme fort: »Ich weiß, daß dieser Verlust dich sehr schmerzt. Aber du wirst darüber hinwegkommen, Lucy.
Wir können darüber hinwegkommen.«
Lucy schüttelte unglücklich den Kopf. Sie wußte, daß es nie besser werden würde, solange Ivan seine Gefüh-le unter Kontrolle hielt und von ihr dasselbe erwartete.
»Ich kann es nicht«, seufzte sie, »ich
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