Spiel Der Sehnsucht
recht, das wußte Lucy. Aber das würde sie nie vor ihm zugeben. »Sie sind ein Rohling«, giftete sie. »Und Sie sind unehrlich. Sie tun so, als würden Sie die Gesellschaft und Ihren Platz darin verachten, dabei benutzen Sie Ihren Titel und Ihr Vermögen, um genau das zu bekommen, was Sie wollen.«
Ivans Gesichtsausdruck wurde ernst. Er hob die Hand, und Lucy zuckte zurück. Doch er berührte nur leicht ihre Wange mit seinen Knöcheln. »Waren Sie hinter meinem Titel her oder hinter meinem Vermögen, als Sie mit mir hierherkamen? Oder wollten Sie beides, als Sie Ihren Körper so leidenschaftlich an meinen preßten?«
Lucy schnappte empört nach Luft. In diesem Augenblick verachtete sie ihn. Wahrhaftig! Sie schluckte schwer.
»Ich war lediglich neugierig, Mylord. Ich wollte wissen, ob der Klatsch über Sie der Wahrheit entspricht.«
Er lächelte. »Und?«
Ihre Augen schienen ihn wie mit Dolchen zu durchbohren. »O ja. Sind sind in jeder Hinsicht der Bastard-Graf.« Ohne auf eine Antwort zu warten, rannte sie aus dem Raum und zurück in die Sicherheit des Ballsaals und der vielen Menschen dort.
Doch sie war noch lange nicht in Sicherheit, fürchtete sie, während sie nach Valerie Ausschau hielt, die gerade einen Schottischen mit einem Mr. Clarence Hopkins tanzte. Sie mochte zwar das letzte Wort gehabt haben, doch sie war noch lange nicht fertig mit Ivan Thornton - und vermutlich auch er nicht mit ihr.
Der Rest des Abends erwies sich als anstrengend. Sie wurde wiederholt zum Tanz aufgefordert, was für eine Frau, die als Anstandsdame fungierte, unerhört war. Sie konnte sich der Aufforderungen kaum erwehren, wie Ivan gewußt haben mußte. Denn, das hatte sie schnell herausbekommen, er war es, der ihr die Tanzwütigen auf den Hals hetzte. Jedesmal, wenn Lucy gezwungen war zu tanzen, machte er Lady Valerie demonstrativ den Hof.
Er und seine Freunde bildeten einen ständigen Kreis um Valerie, beschäftigten ihre Aufmerksamkeit und blockten alle Annäherungsversuche anderer Männer ab. Und jedesmal, wenn Lucy versuchte, sich zu ihrer jungen Schutzbefohlenen durchzukämpfen, wurde sie von dem einen oder anderen aus Ivans Gefolgschaft aufgehalten.
Zuerst bat der Lebemann, Alexander Blackburn, um einen Tanz. Er war charmant und ein guter Tänzer, doch Lucy konnte keine Freude an seiner Gesellschaft empfinden, wenn auf der anderen Seite des Saales Ivan sich an die arme Valerie heranmachte.
Als nächster walzte Giles Dameron mit ihr über die Tanzfläche. Seine Konversation war nicht so flüssig und sein Tanzstil nicht ganz so elegant wie der von Mr. Blackburn, aber er war ein äußerst gutaussehender Mann.
Doch nicht gutaussehend genug, um sie von ihren Sorgen abzulenken. Lucy, die über seine Schulter hinweg Valerie im Auge behielt, konnte sehen, wie diese über etwas, das Ivan gesagt hatte, lächelte. Ihr Mut sank.
Verzweifelt hielt sie nach Lady Westcott Ausschau in der Hoffnung, diese würde eingreifen. Doch die alte Dame saß ruhig bei Lord Dunleith und Lady McClendon und betrachtete die fröhliche Gesellschaft ringsum. Das entmutigte Lucy noch mehr und enttäuschte sie bitter.
Lady Westcott beobachtete den kleinen Kreis, der Ivan und Valerie einschloß, und schien nicht im mindesten besorgt.
Warum hatte sie Lucy angewiesen, Valerie vor Ivan zu schützen? Die Antwort war so offensichtlich, daß Lucy innerlich stöhnte. Natürlich, um sein Interesse anzusta-cheln, um ihm einen Köder vor die Nase zu hängen, dem er nicht widerstehen konnte. Die Taktik schien zu wirken.
Doch weshalb hatte Ivan sich dann die Mühe gemacht, eine Anstandsdame zu küssen?
Vermutlich, so dachte Lucy, weil für ihn jede Frau eine Herausforderung bedeutete. Weil er eine elende Kindheit gehabt hatte und es nun jedermann heimzahlen wollte.
Oder weil er in jenen Jahren so wenig Liebe erfahren hatte, daß er diese nun in den Armen jeder Frau suchte, die ihm über den Weg lief. Das war keine echte Liebe, doch woher sollte er das wissen?
Sie runzelte die Stirn, während sie diese Möglichkeit überdachte. Sie weigerte sich, auch nur einen Augenblick lang Mitleid für ihn zu hegen. Schließlich hegte er auch kein Mitleid für andere Menschen. Trotzdem wollte ihr das Bild des kleinen, verängstigten, dunkelhaarigen Jungen nicht aus dem Kopf gehen. Wie wären Stanley oder Derek mit ihrer Angst fertig geworden, wenn man sie so rücksichtslos in eine fremde Umgebung geworfen und sie dort zehn Jahre lang belassen hätte?
Sie war froh, als
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