Spiel Der Sehnsucht
zischelte sie aus dem Mundwinkel.
»Versprechen Sie, daß Sie bleiben!« flüsterte Ivan nah an ihrem Ohr. Zu nah. Lucy fühlte seinen warmen Atem an ihrem Hals und schluckte.
»Ich kam her, um Sir James zu hören, und ich werde mir das nicht Ihretwegen entgehen lassen«, erwiderte sie.
Sie blickte Ivan von der Seite her an und sah, daß er lächelte, dieses süffisante, selbstzufriedene Lächeln.
Seine Augen glitzerten in der schwachen Beleuchtung. Er ließ ihr Handgelenk los und Lucy sah wieder weg. Doch obwohl er sich während der ganzen restlichen Vorlesung vorbildlich verhielt, konnte Lucy sich nicht ein einziges Wort merken.
In der Reihe vor ihr war Alexander Blackburn eingeschlafen, Giles Dameron starrte umher, zur stockflecki-gen Decke und auf die feuchten Wände. Elliot Pierce war noch unhöflicher. Nach kaum zehn Minuten stand er auf, entschuldigte sich und ging hinaus in die Eingangshalle.
Valerie jedoch hing unbeirrt an den Lippen des Vortra-genden. Als endlich die Lichter wieder angezündet wurden, war Lucy bereit zuzugeben, daß das Mädchen wirklich eine ernsthafte Zuneigung zu dem Mann am Pult gefaßt hatte. Es war völlig unlogisch, aber die Tatsache ließ sich nicht leugnen. Und als Sir James besorgt den Blick durch den Raum schweifen ließ und ein törichtes Lächeln auf seinem Gesicht erschien, als er Valerie entdeckte, fügte Lucy sich seufzend ins Unvermeidliche.
Trotzdem verstand sie nicht, wie ein schmachtender Blick von einer unbedarften jungen Frau bei Sir James mehr Erfolg haben konnte als viele Monate eifriger Kor-respondenz mit jemandem, der seinen Geist bewunderte und seine Interessen teilte. Als Valerie den Gang hinauf eilte, um Sir James zu begrüßen, verdrehte Lucy angewi-dert die Augen.
»Das ist wahre Liebe, hm?«
Lucy sah Ivan ärgerlich an. »Sie ermutigen sie, obwohl Sie genau wissen, daß es nur zu einem gebrochenen Herzen führen wird.«
»Wessen Herz wird brechen, Valeries oder Ihres?«
Lucy blieb zähneknirschend stehen. Sie weigerte sich, bei diesem Katz-und-Maus-Spiel mitzumachen. »Sie wissen, daß weder Lady Westcott noch Valeries Familie ihre Zustimmung geben werden. Aber wahrscheinlich ist genau das der Grund für Ihre Intrigen. Sie wollen das Leben jedes Menschen in Ihrer Umgebung ruinieren, vor allem das Ihrer Großmutter. Ob sie dabei ein paar Unschuldige mit zugrunde richten, kümmert Sie nicht.
Hauptsache, Sie machen Ihre Großmutter unglücklich.«
Ivans Gesicht blieb bemerkenswert ruhig. »Wir sind wohl eifersüchtig?« schnurrte er.
»Das bin ich nicht!« rief Lucy wütend. Sie schob sich an ihm vorbei und lief hinter Valerie her, die sich unter die bewundernde Menge gemischt hatte, die Sir James umgab.
»... und ich bin ein mittleres Kind«, sagte Valerie gerade.
»Ich auch«, erwiderte Sir James; dann lächelten sie sich an.
Eine ältliche Matrone schnalzte mißbilligend mit der Zunge und stieß ihre Begleiterin an. Lucy warf den zwei Frauen einen bösen Blick zu, dann wandte sie sich an Valerie.
»Entschuldigen Sie, Valerie, aber wir müssen gehen.«
Als sie Sir James' enttäuschtes Gesicht sah, fühlte sie ein leichtes Schuldbewußtsein. Doch sie gab nicht nach.
»Lady Westcott wird sich Sorgen machen. Schließlich sind Sie krank gewesen.« Sie blickte Valerie bedeutungsvoll an.
Valerie besaß so viel Anstand, schuldbewußt drein-zuschauen. Doch ehe sie antworten konnte, hatte Ivan das Wort ergriffen. »Ich versichere Ihnen, Miss Drysdale, daß meine Kusine sich bei mir in guten Händen befin-det.«
»Trotzdem wird Lady Westcott nicht ruhig sein, ehe sie nach Hause kommt.«
Ivan betrachtete Lucy gleichmütig. Er sah nicht länger amüsiert aus, aber auch nicht zornig. Doch gerade diese Emotionslosigkeit ließ ihn um so gefährlicher erscheinen.
Hinter ihm warteten seine drei Trabanten, und Lucys Mut sank.
Wie hatte sie in dieses Chaos geraten können? Sie hatte doch nur nach London kommen wollen, um Sir James persönlich kennenzulernen. Nie hatte es in ihrer Absicht gelegen, zur glücklosen Vermittlerin in diesem Krieg zwischen Ivan Thornton und seiner Großmutter zu werden oder zwischen Ivan Thornton und dem Rest der Welt. Und nun waren ihre Hoffnungen auf Sir James ebenfalls zerstört.
Valerie schaute hilfesuchend zu Ivan auf, und sofort schrillte in Lucys Kopf eine Alarmglocke. Was ging hier vor, seit wann betrachtete Valerie Ivan als Beschützer?
Als könne er Gedanken lesen, trat Ivan näher. »Was halten Sie davon, Mawbey,
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