Spiel Der Sehnsucht
ledig?«
Lucy sollte nicht mehr lange ledig bleiben, das schwor sich Ivan, als er wenige Minuten später durch die mit-ternächtlichen Straßen Londons ritt. Ein trüber Mond begleitete ihn auf seinem Weg durch die von Lampen beleuchteten Alleen und Gassen zum Berkeley Square.
Aus der Ferne heulte ein Hund, andere Hunde fielen ein.
Eine Kutsche fegte an Ivan vorbei, doch ansonsten störte nichts seine Gedanken.
Noch heute nacht wollte er Lucys Brief in eigener Person beantworten und alle ihre Zweifel aus dem Weg räumen. Was auch immer sie geschrieben hatte, sie würde den Ruin sicher nicht dem Titel einer Gräfin vorziehen.
Oder doch?
Lucy saß am Fenster und bürstete ihr Haar. Es war spät, und als sie sich vorhin über die Dienstbotentreppe zu dem Gang geschlichen hatte, an dem ihr Zimmer lag, waren die Lichter in allen Räumen bereits gelöscht worden.
Schnell hatte sie ihr Nachtgewand übergezogen, doch ihre erregten Nerven hatten sie nicht einschlafen lassen.
Würde Elliot Ivan den Brief geben? Würde Ivan den Brief lesen - ihn wirklich lesen - und einsehen, daß eine Heirat ein nicht wieder gutzumachender Fehler wäre?
Sie starrte blicklos aus dem Fenster und fuhr fort, ihr Haar zu bürsten, ohne wie sonst die Bürstenstriche zu zählen. Sie nahm weder die Kutsche wahr, die auf der Straße vorüberfuhr, noch die jagende Katze, die am Zaun entlangstrich und schließlich hinter einigen Büschen verschwand.
Als jedoch ein Reiter in den Platz einbog, war ihre Aufmerksamkeit geweckt.
Es war seine Zielgerichtetheit, die sie aus ihren Gedanken schreckte. Als er geradewegs auf Westcott House zuritt, hielt Lucys Hand mitten in der Luft inne. Ihr Atem stockte, und ihr Herz begann heftig zu schlagen.
War das Ivan? Konnte das möglich sein?
Er war es wirklich.
Vor der Eingangstür hielt er an, sprang aus dem Sattel und blickte genau zu ihr hinauf.
Sie schreckte vom Fenster zurück. Achtlos fiel die Bürste zu Boden, während Lucy zu ihrem Bett huschte und von dort aus ängstlich zum Fenster starrte. Er würde jetzt heraufkommen, das wußte sie. Er hatte ihren Brief gelesen, und jetzt war er außer sich, daß sie die Erniedrigung einer Heirat mit ihm vorzog.
Eigentlich hatte sie damit rechnen müssen, daß er nicht nachgeben würde. Als Kind war er von seiner Familie zurückgestoßen worden. Als Mann ließ er sich nicht mehr zurückstoßen, doch genau das hatte sie in seinen Augen getan. Dabei wäre sie liebend gerne seine Frau geworden, wenn er sie diese Rolle wirklich ausfüllen ließe.
Doch wie sollte sie ihm das klarmachen? Ich liebe dich, aber du liebst mich nicht; und ich kann dich nur heiraten, wenn du mich liebst - nein, das konnte sie nicht sagen.
Aber etwas würde sie sagen müssen.
Lucy wandte ihre angstvoll geweiteten Augen vom Fenster zur Tür. Er würde doch sicher nicht hier heraufkommen?
Natürlich würde er das.
Sie wollte zur Tür, um sie zu verschließen, setzte sich aber wieder auf das Bett. Fasse dich! redete sie sich zu.
Sie wollte die Sache mit ihm ausdiskutieren, und dies war die Gelegenheit. Aber nicht hier, nicht im Nachthemd. Sie riß ihren Morgenmantel vom Stuhl und ging wieder zur Tür, doch ein Klopfen ließ sie innehalten. Es war kein wütendes, forderndes Klopfen, sondern nur ein dreimaliges leises Pochen. Doch dieses leise Pochen klang wie eine Warnung in ihren Ohren.
»Ich komme«, rief sie, während sie mit den widerspenstigen Ärmeln ihres Morgenmantels kämpfte.
»Nein, ich komme herein.« Im selben Augenblick stand Ivan schon im Zimmer.
Lucy erstarrte. Ihr einer Arm steckte noch immer in dem verdrehten Ärmel fest. Erschrocken starrte sie Ivan an. Er durfte nicht in ihrem Schlafzimmer sein; sie sollten überhaupt nicht hier zusammen sein. Entweder mußte er gehen, oder sie war gezwungen, das Zimmer zu verlassen.
Doch als die Tür mit einem entschlossenen Geräusch zufiel, als Ivan den Schlüssel umdrehte und sich mit ihr einsperrte, war ihr klar, daß keiner von ihnen irgendwo-hin gehen würde.
Du wolltest mit ihm sprechen, also sprich jetzt, befahl sie sich.
»Hören Sie, Mylord ...«
»Sag Ivan«!« Er ging ganz unbefangen auf sie zu. »Laß mich dir helfen.« Er faßte nach dem unbotmäßigen Ärmel ihres Morgenrocks.
»Danke, nein! Ich will ihn anziehen!« rief Lucy, als er ihr das Kleidungsstück sacht vom Körper zog. Sie wollte es erhäschen, doch Ivan warf es in eine Ecke.
»Also, Ivan«, begann sie in zurechtweisendem Ton, »du kannst nicht
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