Spiel der Teufel
Zuversicht gegeben, das versichere ich euch. Er hat
sich wie ein kleines Kind auf das Baby gefreut, auch wenn er
immer noch getrauert hat, genau wie ich. Und diese Trauer
wird auch nie vergehen, denn Rosanna wird immer in meinem
Herzen bleiben. Nur dass ich jetzt um zwei Menschen trauere.
Ganz ehrlich, würdest du dir das Leben nehmen, wenn du
wüsstest, dass deine Frau schwanger ist?«
Henning schüttelte den Kopf und erinnerte sich an die Zeit, als
er noch verheiratet gewesen war und die beiden Schwangerschaften
seiner Frau miterlebt hatte und irgendwann selbst
schwanger wurde, wie er manchmal scherzhaft bemerkte. Und
bei Gerd dürfte es nicht anders gewesen sein. Gerd war ein
Kämpfer, ein harter Hund, vor allem gegen sich selbst, der aber
nie die Grenzen überschritt. Er hatte seinen Vater verloren, als
er selbst gerade begann die Karriereleiter bei der Kripo hochzusteigen;
ein Verlust, den er nie wirklich verwunden hatte,
denn sein Vater war sein großes Vorbild gewesen. Und sich
einfach so davonzustehlen war nicht seine Art. Er hätte Signale
ausgesendet, da war sich Henning sicher.
»Hat sich eigentlich schon ein Arzt um dich gekümmert?«
»Er wollte mir eine Spritze geben, aber ich brauche nichts, was
mich ruhigstellt. Ich schaffe es auch so. In dem Dorf, wo ich
herkomme, gehört der Tod zum Alltag, er geht von einer Tür
zur nächsten und weiter und weiter und weiter.«
Allmählich begriff Henning, warum Nina so erstaunlich gefasst
war, auch wenn er es nicht nachvollziehen konnte. Er
selbst wäre zusammengebrochen wie wohl die meisten, er hätte
mit Gott und der Welt gehadert, warum ausgerechnet er das
erleiden musste, doch Nina war ein anderes Kaliber, stammte
aus einem anderen Kulturkreis, besaß eine andere Mentalität,
obwohl sie sich sehr gut an die deutschen Verhältnisse und Gegebenheiten
angepasst hatte.
»Vielleicht gehe ich auch zurück zu meinen Eltern. Was soll ich
hier noch? Hier könnte ich niemals vergessen ...«
»Nina, bitte«, unterbrach Henning sie, »ich halte das für keine
so gute Idee. Du hast doch Freunde, unter anderem mich und
Lisa. Du kannst immer auf uns zählen.«
Nina lächelte gequält und zuckte mit den Schultern. »Das ist
nett von euch, aber ich habe doch alles verloren, was in meinem
Leben wichtig war. Das ist nicht gegen euch gerichtet, aber erst
Rosanna und dann Gerd ... Welcher normale Mensch kann so
etwas verkraften?« Und nach ein paar Sekunden beinahe unerträglichen
Schweigens: »Seht ihr, auch ihr habt keine Antwort
darauf. Das tut so unbeschreiblich weh, so weh. Ich habe Gerd
mehr geliebt als irgendeinen andern Menschen, das ist eine Liebe
für die Ewigkeit. Ich habe ihn geliebt und werde ihn immer
lieben. Es gibt keinen Mann, der jemals seinen Platz einnehmen
wird, denn Gerd war einfach nur gut zu mir.«
»Das wissen wir«, sagte Santos und legte eine Hand auf Ninas
Schulter. »Dürfen wir dir trotzdem ein paar Fragen stellen, oder
sollen wir lieber später oder morgen noch mal kommen?«
»Nein, macht ruhig. Es ist doch egal, ob jetzt, morgen oder irgendwann«, antwortete sie und nestelte am Saum ihrer grünen
Bluse.
»Wann genau hast du Gerd gefunden?«, fragte Henning.
»Vor ungefähr anderthalb Stunden, als ich heimgekommen bin.
Ich war das Wochenende über bei einer alten Freundin aus St.
Petersburg, die jetzt in Hamburg als Übersetzerin arbeitet.
Gerd hatte es nicht so gern, wenn ich gerade in letzter Zeit viel
allein war. Deshalb hat er mich am Freitagabend zu ihr gefahren,
weil er das ganze Wochenende Dienst hatte ...«
»Warum bist du nicht selbst gefahren, du hast doch ein Auto?«
»Gerd bestand darauf. Er sagte, dass er mich in meinem Zustand
nicht gerne allein fahren lässt. Na ja, und außerdem kenne
ich mich in Hamburg nicht gerade gut aus. Gerd hat mich
bei Maria abgesetzt, ist kurz mit nach oben gekommen und hat
noch einen Tee mit uns getrunken, bevor er wieder nach Hause
gefahren ist. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.
Wir haben uns an der Haustür verabschiedet, er hat mir einen
Kuss gegeben und mir über die Wange gestreichelt und mich so
seltsam angesehen.«
»Was meinst du mit seltsam?«, fragte Santos.
»Ich kann es nicht erklären, aber es war ein Blick, der irgendwie
melancholisch war. Ich dachte zuerst, es wäre wegen des
verlängerten Wochenendes, das er allein verbringen musste.
Vielleicht war es aber ... Nein, ich glaube, ich rede Blödsinn.«
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