Spiel des Lebens 1
Independent, Trip Hop und Heavy Metal wechselten sich ab. Wenn es in der Musik Flickenteppiche gäbe, hätte man hier einen sehen können.
Emily, Julia und Ryan hatten ihre Jacken an der Garderobe abgegeben, sich an der Bar jeder ein Bier geholt und schauten oben von der Balustrade aus auf die Tanzfläche. Ein paar Mädchen tanzten, ein paar andere Gäste standen herum, und nur allmählich füllte sich der Raum. Die meisten würden eh erst kommen, wenn um elf die Waterfront Bar sowie die anderen Pubs der Umgebung zugemacht hatten. Die Türsteher des Tutu’s würden dann wieder gut zu tun haben, um die Bierleichen, die bereits kurz vor Mitternacht nicht mehr gerade gehen konnten, vom Club fernzuhalten. Dennis, der massige Türsteher, fuhr sich durch seine blondierten Haare und rückte seine Sonnenbrille zurecht. Sein ausdrucksloses Gesicht und der schwarze Polyesteranzug gaben ihm das Aussehen einer Schaufensterpuppe.
Emily blickte auf die tanzenden Lichter, die über die Decke des Clubs wanderten, ein wenig wie die Sterne, die ihr auf van Goghs Bild entgegengestarrt hatten. Sie versuchte, den Gedanken im Keim zu ersticken, und lauschte auf den Text von Marilyn Manson, der gerade aus den Boxen ertönte.
I went to God just to see, and I was looking at me,
Saw heaven and hell were lies, when I’m God everyone dies.
Eine Gruppe aus ein paar Jungen und Mädchen gesellte sich zu ihnen. Namen wurden ausgetauscht, Hände geschüttelt und die üblichen Semesterstart-Horrorstorys und -gerüchte über gewisse Professoren verbreitet. Einer der Jungen schien Ryan zu kennen und stieß geräuschvoll mit ihm an, er hieß Nick und kam ebenfalls aus Dublin. Wegen seiner ziemlich großen Nase wurde er von seinen Freunden auch »der Rüssel« genannt. Emily war er schon vorher durch ein paar miese Witze aufgefallen.
»Geht’s wieder besser?«, fragte Ryan.
Nick nickte. »Klar, kann endlich wieder mal was trinken, ohne mit dem Schlimmsten zu rechnen.«
»Was war denn los?«, erkundigte sich Emily.
»Ach«, Nick winkte ab. »Mir haben sie vor zwei Wochen die Weisheitszähne gezogen, alle vier auf einmal mit Vollnarkose.« Er kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Und von den Scheißantibiotika hatte ich tagelang so einen Megadünnschiss, als ob’s keinen Morgen mehr gäbe.«
»Igitt«, sagte Julia.
»Nick, es sind Damen anwesend«, ergänzte Ryan.
»Ich sag euch nur die Wahrheit«, setzte Nick noch einen drauf. »Das Zeug war so flüssig, man hätte es in ein Glas gießen, dekantieren und oben klares Wasser abtrinken können.«
Das reichte Emily. Sie schaute sich nach anderen Leuten in der Gruppe um und entdeckte einen dunkelhaarigen, etwas älteren Jungen, der ihr gestern auf dem Flur der Englischen Fakultät begegnet war. Julia bemerkte ihren Blick. Sie ging zu dem Jungen hinüber, nahm ihn am Arm und kam mit ihm zu Emily, während Nick die nächste, unappetitliche Geschichte zum Besten gab.
»Kennst du Jonathan schon?«, fragte Julia. Emily schüttelte den Kopf. »Jonathan, das ist Emily!«
Jonathan schüttelte ihr zaghaft die Hand.
»Jonathan macht seinen Doktor in Englischer Sprache und Literatur«, sagte Julia stolz, so als wäre das ihr Verdienst. »Wir haben uns heute in der Mensa getroffen. Er kennt Professor Stokes sogar schon von früher!«
Jonathan, der in etwas schrulliger College-Manier ein weißes Hemd mit Krawatte unter seinem blauen Pullover trug und dessen blaue Augen unter dem sauber gescheitelten Haar ein wenig zurückhaltend und unsicher in die Welt schauten, schien sich in diesem Rampenlicht nicht wohlzufühlen, nestelte an seiner Brille und sagte erst einmal gar nichts.
»Echt, du machst schon deinen Doktor?«, fragte Emily.
»Na ja«, sagte Jonathan, »genau genommen ist es der zweite.« Er hustete verlegen.
»Du hast schon einen Doktortitel und machst noch einen?«, fragte Julia. »Bist du verrückt?«
Jonathan zuckte mit den Schultern. »Ein bisschen«, gab er zu und grinste.
Emily schaute nach unten, wo sich der Saal allmählich füllte, und merkte, dass man immer mehr gegen die Musik anschreien musste.
»Wie alt bist du denn?«
»Vierundzwanzig«, sagte Jonathan, als ob ihm auch das unangenehm wäre. »Ich habe ziemlich früh meinen Master gemacht, dann zwei Jahre Promotion und jetzt noch einmal zwei. Weihnachten habe ich dann zwei Doktortitel, wenn alles gut geht.«
Julia schüttelte nur noch den Kopf. »Verrückt. Du bist echt verrückt. Andere sind froh, wenn sie
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