Spiel des Lebens 1
mit dem Studium fertig sind, und du … Willst du nicht mal arbeiten?«
»Ich arbeite doch«, sagte Jonathan und zog die Augenbraue hoch, während er den ersten Schluck von seinem Gin Tonic nahm. »Wer will schon normale Vorgesetzte, wenn er Homer und Shakespeare haben kann?«
Emily warf Julia einen Blick zu, aber ihre Freundin starrte Jonathan nur bewundernd an.
»Na ja«, meinte Emily, »irgendwann muss man ja auch mal Geld verdienen.«
»Renne dem Geld hinterher, und du wirst es nicht haben«, entgegnete Jonathan.
Gott , dachte Emily. Fehlt nur noch der erhobene Zeigefinger. Vielleicht sollte er seinen dritten Doktor in Religion machen?
Jonathan räusperte sich. »War nett, mit euch zu plaudern. Aber ich glaube, ich hab genug für heute.« Er trank seinen Drink aus.
Julia sah enttäuscht aus. »Jetzt schon? Hier ist die große Party und du willst nach Hause? Wie langweilig. Was willst du da denn überhaupt machen? Doch nicht etwa schlafen?«
»Lesen«, sagte Jonathan, und um seine Mundwinkel zuckte es.
Julia kicherte. »Na klar! Du gehst nach Hause und liest wahrscheinlich Shakespeare!«
»Erraten!«
Jonathan legte den Kopf schief und musterte sie, jetzt wieder ganz ernst. »Und ihr? Was versprecht ihr euch davon, wenn ihr bleibt?« Er schaute Julia aus seinen blauen Augen an. »Dass ihr morgen entweder im Bett eines verschwitzten, siffigen und nach Bier stinkenden Typen aufwacht oder dass ihr diesen Typen heute Nacht um halb vier mit dem Schwanz in der Hand und einer hohen Getränkerechnung an der Bar stehen lasst, bevor ihr auf Nimmerwiedersehen ins Taxi steigt und dieser Typ dann erst mal sauer auf euch ist?«
Julia brauchte keine Sekunde, um darauf zu antworten. »Letzteres natürlich! Warum festlegen?«
Über Jonathans Gesicht zog sich ein Grinsen. »Okay, dann viel Spaß dabei! Mädels, einen schönen Abend noch! Wir sehen uns!«
Damit drehte er sich um und verschwand einfach.
Emily schüttelte den Kopf. »Was für ein Nerd! Sehen wir so aus, als würden wir uns von irgendwelchen Typen den ganzen Abend Drinks ausgeben lassen?«
Julia schüttelte den Kopf. »Ich fand, er hatte was.«
»Ich geb euch jedenfalls gern einen Drink aus.« Das war Ryan, der seine Diskussion mit Nick, dem Rüssel, gerade beendet hatte. »Auch wenn ihr nicht so ausseht.«
»Hebt mir meinen auf! Auch wenn ich nicht so aussehe!« Julia lachte ihr dreckiges Lachen. »Ich komme gleich nach!« Sie lief hinter Jonathan her in Richtung Ausgang, während Emily und Ryan zusammen die Treppe zu der Bar an der Tanzfläche hinunterstiegen.
9
TAG 3: 3. September 2011
E s war schon nach drei, als Emily und Ryan den Tutu’s Club verließen. Emily wusste nicht, ob das nun zu früh oder schon zu spät war. Ihre Mum würde es natürlich für viel zu spät halten, doch der Club war noch recht voll, also war es wahrscheinlich eher uncool, so früh zu gehen. Sie war allerdings so müde, dass es ihr herzlich egal war, ob das nun uncool war oder nicht. Julia wollte noch bleiben. Sie hatte es vorhin doch tatsächlich geschafft, Jonathan zum Bleiben zu überreden. Oder vielleicht war die Ankündigung, die Party zu verlassen, auch nur eine Masche von ihm gewesen, um sich wichtig zu machen? Wie auch immer. Die beiden hatten Stunden miteinander verbracht. Irgendwann zwischendurch, als sie sich auf dem Klo trafen, hatte Julia stolz erzählt, dass Jonathan eine riesige Wohnung nahe Westminster hatte und dort ganz allein wohnte. Julia stand auf Statussymbole, das wusste Emily. Und wenn sie wirklich Interesse an Jonathan hatte, dann würde sie ihn auch bekommen, davon war Emily fest überzeugt. Julia konnte mit ihrem Charme und Aussehen jeden Jungen um den kleinen Finger wickeln, ob er nun zwei Doktortitel hatte oder nicht.
»Hier, deine Jacke«, sagte Ryan.
Auch er sah müde aus, und Emily war froh, dass er mit ihr nach Hause ins Wohnheim kam. Sie mochte Ryan, er war lustig und hatte den Abend über ein bisschen mit ihr geflirtet. Aber er hatte es nicht übertrieben. Das gefiel Emily. Sie mochte keine Typen, die sofort aufs Ganze gingen. Sie mochte überhaupt zu nichts gedrängt werden.
»Wollen wir laufen?«, fragte Ryan. »Wir könnten an der Themse langgehen, dauert doch nur zwanzig Minuten, und danach sind wir wieder nüchtern. Die Laternen sind noch alle an. Könnte man fast als«, er schien nach Worten zu suchen, » romantisch bezeichnen.«
»Ja«, sagte Emily und musste lachen. »Das wird sehr romantisch , wenn ich im Laufen
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