Spiel des Lebens 1
würden die anderen auch rennen. Beute, die rennt, wird verfolgt. Dann würden alle drei sie einholen. Und dann …
»Hey, hab dich gefragt, wie du heißt!« Der Kerl mit der Bierflasche gestikulierte aggressiv mit der Hand, in der er die Flasche hielt, und Emily bekam ein paar Bierspritzer ab.
Der Dicke aus der Gruppe war jetzt auch herangekommen.
»Wie heißt die Süße?«
Der Anführer mit der Flasche nahm einen Schluck Bier und schüttelte den Kopf. »Will sie uns nicht sagen«, gab er lallend zurück.
Emily blickte sich um wie ein Kaninchen, das von Schlangen umgeben war. Der hagere Typ hatte sich von hinten herangeschlichen und blockierte den Weg zur anderen Treppe. »Schöne Mähne hat die Kleine«, sagte der Dicke und zupfte ihr an den Haaren. Emily wich zurück und schlug die Hand beiseite.
»Auuu«, jaulte der Dicke. »Die ist ganz schön aggressiv, die Schlampe!«
»Jaaa, so mag ich die Schlampen«, lallte der mit der Flasche, »die nimmt halt nicht jeden. Komm zu mir, Süße.« Er griff Emily am Ärmel und zog sie zu sich heran. Sie wollte sich gerade abstoßen, da merkte sie, wie sie schon wieder in eine andere Richtung geschubst wurde. Der Dicke hielt sie mit seinen Wurstfingern umklammert. »Hier, nimm du sie mal«, sagte der mit der Flasche. Der Dicke grunzte zufrieden, während sich der hagere Lange in einiger Entfernung das Geschehen anschaute und noch immer den Fluchtweg blockierte. Emily spürte die Finger des Dicken, der sie gierig betastete, während der mit der Bomberjacke noch einen Schluck aus seiner Bierflasche nahm.
»Wir nehmen sie mit, oder?«
»Klar«, lallte der mit der Flasche, »wir nehmen sie schön mit. Aber erst gib sie mir mal wieder«, grölte er und zog Emily zu sich. Sie merkte, wie sie das Gleichgewicht verlor und in seine Arme gezerrt wurde, merkte, wie er sie anfasste. Ihre Hand schoss nach oben, klatschte in sein Gesicht.
»Auuu«, krakelte er und schaute sie für einen Moment erstaunt an. Dann hob er die Bierflasche, sie sah die Flasche in der Luft kreisen und spürte einen dumpfen Knall. Sie sank auf den Boden, kurz wurde ihr schwarz vor Augen. Sie sah den Kerl mit der Bomberjacke auf sie herabblicken, die leere Flasche in der Hand, spürte kaum das Bier, das an ihren Haaren herunterlief, hörte nur mit halbem Ohr die Stimme des Anführers, alles wie durch einen Wattefilter. »Die hat mich geschlagen!« Ein Tritt von der Bomberjacke erwischte sie an der Hüfte, und sie schrie auf, krümmte sich auf dem harten Betonboden der U-Bahn, während der Anführer weiterkrakelte. »Dafür kannst du was erleben, denn ich werde dich … «
Sein lallender Monolog wurde unterbrochen, und er blickte seinem hageren Kumpan hinterher, der auf einmal wie von der Tarantel gestochen losgerannt war. Emily sah mit verschwommenem Blick, wie der Hagere an der Gruppe vorbeirannte und die Treppen nach oben aus der U-Bahn-Station flüchtete, ohne sich noch einmal umzusehen.
»Ey, du Feigling«, rief der Anführer, »bleib hier!«
Er schaute zu seinem flüchtenden Kumpel hinauf, als wäre er unschlüssig, ob er ihm folgen sollte, um ihn für seine Feigheit zu bestrafen, dann zu Emily herunter, wieder sicher, dass seine Beute viel interessanter war.
Emilys Blick folgte ihm angstvoll.
»Da«, keuchte der Dicke plötzlich. »Daaaa!«
Emily bemerkte die Panik in den Augen des Dicken.
Der Kerl mit der Bomberjacke fuhr herum.
Und dann sah auch Emily sie.
Sie kamen aus den U-Bahn-Schächten.
Mit blassen Gesichtern und schwarzen Zähnen.
Mit schmierigen Haaren und von Schmutz starrenden Kleidern.
Ihr Geruch wehte zu ihnen herüber, und ihr Hass war noch stärker als die Gier der beiden Männer, die Emily zu Boden geworfen hatten.
Sie kamen aus den U-Bahn-Schächten, und sie trugen Zaunlatten und Fahrradketten, abgebrochene Glasflaschen und Baseballschläger.
Sie kamen aus den Schächten und kletterten den Bahnsteig hinauf, von beiden Seiten, sie besetzten die Treppen, zu beiden Seiten, sie bedrängten die Gruppe, von beiden Seiten.
Eine Stimme ertönte, irgendwo aus der Mitte des schmutzigen, hasserfüllten Mobs, der da soeben aus der Unterwelt entstiegen war.
»Sie ist nicht für euch«, sagte die raue, schwere Stimme aus der Masse der schmutzstarrenden Horde. »Denn sie gehört euch nicht.« Emily blickte in die Augen ihrer zwei Peiniger, sah die Panik und die Todesangst darin, sah, wie die graue Horde herankroch, so wie sich ein Tsunami einer Küste nähert, langsam, todbringend
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