Spiel des Lebens 1
Gesandter des Satans bezeichnet wurde. Schon allein wegen des Erscheinungsjahrs 1667. Hätte er es 1666 veröffentlicht, wäre es, so die Kritiker damals, noch klarer gewesen, dass er mit dem Antichristen sympathisierte.«
»Man kann es keinem recht machen.« Emily zuckte die Schultern. Das war ja alles sehr interessant, dachte sie, und sie liebte solche Storys, die teilweise aus Wahrheit und teilweise aus Legenden gewoben waren, aber warum dieser Irre immer auf Milton und Paradise Lost rumritt, das verstand sie immer noch nicht. Und warum Wasser brennen sollte, war ihr auch noch nicht klar.
»Wollen wir nicht mal in das Buch reinschauen?«, fragte sie. »Die haben hier doch bestimmt schöne Ausgaben.«
Ryan lächelte. »Du meinst mit Ledereinband, riesigen Bildern, Vorhängeschlössern und so groß, dass man es auf ein Stativ stellen muss.«
Sie zog die Augenbraue hoch. »Wenn du so eins findest, wär super.«
»Der königliche Bibliothekar wird schauen, was er für die lesehungrige Prinzessin finden kann«, sagte Ryan und erhob sich.
Nach kurzer Zeit kam er mit einem dicken, gebundenen Werk zurück, zwar nicht mit Schweinsledereinband und Vorhängeschloss, aber immerhin einer Schmuckausgabe mit düsteren Illustrationen aus dem 18. Jahrhundert. Sie beide blätterten fasziniert durch die Seiten und blieben lange bei den Kupferstichen hängen, die die Visionen der Hölle zeigten. Tiefe Schluchten und Krater, endlose Ödnisse und Ebenen und Dämonengestalten, die mit Fledermausflügeln durch die Untiefen der Hölle flogen.
Ryan las etwas aus der Einleitung vor und ließ die Seiten durch die Finger rauschen.
»When I beheld the poet, blind, yet bold,
In slender book his vast design unfold,
Messiah crowned, God’s reconciled decree,
Rebelling angels, the forbidden tree.«
Beide starrten eine Weile abwechselnd auf Buch und Bildschirm.
»Das ist aber noch nicht der Anfang, oder?«
»Nein«, sagte Ryan, »das ist eher so eine Art Zusammenfassung.« Er blätterte weiter. »Da vorn geht es richtig los.«
Er las vor:
»Des Menschen erste Schuld und jene Frucht,
Des streng verbotenen Baums, die durch Genuss
Tod in die Welt gebracht und jeglich Weh,
Die Eden raubte, bis ein größrer Mensch
Des Heiles Sitz uns wiederum errang.«
Sein Finger rutschte nach unten zu den Kommentaren, die es auf jeder Seite in Hülle und Fülle gab, wie es bei wissenschaftlichen Büchern fast immer der Fall war.
»Der ›größre Mensch‹ ist Jesus Christus, der die Schuld der Menschheit, bedingt durch die Erbsünde, wiedergutmacht«, sagte Ryan.
»Und die Erbsünde selbst hat auch Satan verursacht?«, fragte Emily. »Als Schlange im Garten Eden?«
Ryan nickte. »Steht hier auch so. Als es Luzifer nicht gelungen war, gegen Gott zu rebellieren und er zur Strafe in die Hölle verbannt wurde, hat er versucht, das zu verderben, was Gott am wichtigsten war. Seine größte Schöpfung: Den Menschen.«
»Ist ja auch gelungen«, merkte Emily an.
»Ja, Eva hat den Apfel vom Baum der Erkenntnis gegessen und ihn auch Adam gegeben.«
Emily lächelte. »Mal wieder eine Frau, die an allem schuld ist.«
»Nicht so ganz«, widersprach Ryan. »Immerhin hat sich Eva vom Teufel höchstpersönlich übers Ohr hauen lassen, Adam aber nur von Eva. In der Hinsicht ist Adam noch ein Stück blöder.«
»Interessante Sichtweise.« Sie stupste Ryan an. »Blätter mal weiter und guck nach, was mit Satan passiert. Ich geh uns mal Kaffee holen.«
»Pass auf, dass du nicht den Kaffee vom Automaten der Erkenntnis nimmst. Der ist verboten.«
»Blödmann«, sagte Emily lachend.
Als sie im oberen Stock am Kaffeeautomaten zwei Kaffee in dünnen Plastikbechern holte, fiel ihr der Pförtner auf, der über seiner Sun eingenickt war. Gedämpft waren von draußen die Geräusche der Straße zu hören.
London schläft nie, dachte sie. Aber in der Stille der Bibliothek hatte man den Eindruck, dass die Hauptstadt heute Nacht doch eingenickt war.
»Hier, ich hab was gefunden«, sagte Ryan, als sie beide von dem dampfenden Kaffee getrunken hatten.
»Des allerhöchsten Macht
Stieß häuptlings ihn aus den ätherischen Höhn
Furchtbaren Sturzes glutumflammt hinab
Zum bodenlosen Abgrund, dort zu wohnen
In diamantnen Ketten und in Feuerpein
Da dem Allmächtigen er gewagt zu trotzen.
Neun Mal die Zeit, die bei den Sterblichen
Den Tag, die Nacht bezeichnet, lag er dort
Besiegt mit seiner schaudervollen Horde.«
Schaudervolle Horde , dachte Emily. Das passte
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