Spiel des Lebens 1
dachte Emily.
»So nach dem Motto: Was mich nicht tötet, macht mich stärker?«, schaltete sich Ryan ein, dem man ansah, dass er jetzt weiter wollte.
Jonathan zuckte die Schultern.
»Trotzdem nicht schön«, sagte Emily. Es konnte ja sein, dass schlechte Erfahrungen einem weiterhalfen, aber verdient hatte Julia das nicht. Von sich selbst wollte sie gar nicht erst anfangen. Und was ging Jonathan das überhaupt an?
Jonathan verdrehte die Augen. »Tja, was ist schon schön?« Er machte eine leichte Verbeugung.
»Habt noch einen netten Abend!«
Dann war er weg.
»Spinner«, zischte Ryan, als er außer Hörweite war.
Emily zuckte die Schultern. »Julia scheint ein Faible für Spinner zu haben.«
Ryan nickte. »Solange sie Geld haben, ja.«
Sie setzten sich an eine der Datenbanken und gaben den Namen John Milton ein.
»Okay«, sagte Ryan. »Das Hauptwerk von ihm ist Paradise Lost .« Er scrollte durch die Seiten. Emily las den weiteren Text.
»›Ein Werk, das zeitlich von der Erschaffung der Welt bis zum Jüngsten Tage reicht.‹« Sie schaute Ryan an. »Das ist ja mal eine Ansage.« Sie las weiter. »›Und das räumlich Himmel, Hölle, Chaos, Paradies und die Erde umfasst – ein Werk von,‹ wie steht es hier, ›wahrhaft kosmischen Dimensionen.‹«
»Da hat sich wohl einer mal richtig hingesetzt«, sagte Ryan.
Emily kritzelte ein paar Notizen in ihren Block. »Was steht denn da noch über Milton?«
»Also … « Ryan überflog die Zeilen. »›John Milton, geboren 9. Dezember 1608 im Londoner Viertel Cheapside.‹« Er schaute Emily an. »Mensch, das ist hier ganz in der Nähe.« Dann fuhr er fort. »›Studium an St. Paul’s und in Cambridge.‹«
St. Paul’s, dachte Emily. Er hatte tatsächlich in St. Paul’s studiert. Darum dieser dämliche Test mit der Höhe von St. Paul’s. Gehe dahin, wo das Jahr nach oben strebt. Die Stimme des Irren war wieder in ihrem Kopf. Irgendwie schien der an John Milton einen Narren gefressen zu haben. Aber warum?
»›Milton erblindete 1652‹«, las Ryan weiter. »›Und diktierte seiner Schwester und seinen Töchtern Paradise Lost . Dadurch entsprach er dem Klischee des‹, wie heißt es hier, ›blinden Sehers, ebenso wie Homer.‹ Homer … « Ryan sah Emily an. »Das war doch der mit der Odyssee und der, der … ?«
»Genau, der, der die Ilias geschrieben hat. Mit der Schlacht um Troja. War doch vor einiger Zeit im Kino.«
»Bisschen zu spät, als dass der gute Homer noch Tantiemen für die Verfilmung gekriegt hätte«, scherzte Ryan.
Emily musste lachen. »Okay«, sagte sie dann. »Beide sind blinde Seher.« Im Dunkeln sieht man besser. Das schien auch hier zu stimmen.
»Ja«, bestätigte Ryan und scrollte weiter durch den Text. »Beide haben große Nationalepen geschrieben. Homer für die antike Welt, und Milton wollte ein Nationalepos für England schreiben.«
»Und worum geht es in Paradise Lost nun genau?«
»Schauen wir mal.« Ryan blinzelte in den Bildschirm.
»Es geht um den Aufstand Luzifers, des strahlendsten aller Engel gegen Gott. Hier steht, dass Satan neidisch auf Christus gewesen war, da Christus statt seiner zu den Menschen gesandt wurde. Deswegen hat sich Satan gegen Gott erhoben und wurde von den himmlischen Heerscharen unter Führung des Erzengels Michael in die Hölle hinabgestoßen. Das hat mir mein Großvater auch alles erzählt, der ist beinharter irischer Katholik.«
»Aber das mit dem Sturz war doch lange vor Jesus Christus?«, wandte Emily ein.
»Ja, aber im göttlichen Heilsplan war das mit Christus schon vorher abgesprochen gewesen, bereits vor der Schaffung der Welt. Hat mir mein Großvater erklärt. Steht auch irgendwo in der Bibel.«
»Und Satan war sauer darüber?«
»Ich habe nicht mit ihm gesprochen, aber besonders happy war er wohl nicht. Darum hat er sich aufgelehnt.«
Emily ertappte sich, wie sie etwas näher an Ryan heranrückte, ließ es allerdings so aussehen, als könnte sie dann die Schrift auf dem Bildschirm besser erkennen.
»Schau mal da.« Sie zeigte auf eine Stelle im Text. » Paradise Lost ist 1667 erschienen. 1665 hatte die Pest fünfzigtausend Londoner dahingerafft, 1666 hatte das Große Feuer von London zwei Drittel der Stadt vernichtet. Und 1667 ist dann Paradise Lost erschienen.«
»Und 666 ist die Zahl des Teufels«, überlegte Ryan weiter.
»Ist das so?«
»Ja, steht in der Offenbarung. Und hier … « Er hatte eine weitere Textstelle gefunden. »Hier steht, dass Milton deswegen auch als
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