Spiel des Lebens 1
kaufen und um ein Vermögen zu verdienen und keiner kann ihm etwas nachweisen.« Er beugte sich vor. »Glaubst du, dass deine Eltern dabei so einfach mitgemacht hätten?«
Rhetorische Fragen. Er lullt dich ein , dachte Emily. Und trotzdem tat sie immer noch, was er erwartete. Sie schüttelte langsam den Kopf.
»Brechen wir eine Lanze für deine Eltern«, sagte Jonathan, »denn das haben sie auch nicht. Jack und Mary mussten ein wenig, sagen wir mal, nachhelfen. Und da«, er schaute Emily an, »da kommst du ins Spiel.« Er lehnte sich zurück. »Weißt du, was im Banking ein ›Swap-Geschäft‹ ist?« Er schaute sie mit starrem Blick an. So als wollte er sie auch hypnotisieren.
Sie schüttelte den Kopf. Rein mechanisch. Links, rechts. Wie eine Puppe, so fühlte sich Emily.
»In einem Swap-Geschäft«, sagte Jonathan, »wird getauscht. Eine Firma in Japan muss in Dollar bezahlen, wenn sie mit amerikanischen Firmen handelt. Eine Firma in den USA muss in Yen bezahlen, wenn sie mit japanischen Firmen handelt. Beide haben also ein … Währungsrisiko. Ein Swap-Geschäft hingegen sorgt dafür, dass keiner von beiden mehr ein Risiko hat, setzt das Risiko für beide Parteien auf null. Leuchtet das ein?«
Wach auf, Emily. Tu etwas! Du darfst nicht zuhören. Es ist Gift, was aus seinem Mund kommt. Doch sie nickte nur.
»Und rate mal, wer dieses Swap-Geschäft war?« Er lächelte. »Ich helfe dir: Es war etwas, das, neben der Information, für deinen Vater auch noch mehr als Geld wert war.«
Irgendetwas in ihr sagte ihr bereits, was oder wer das sein könnte, aber sie weigerte sich, dieser Stimme zu glauben. Auch wenn die Stimme natürlich recht hatte.
»Du warst das Swap-Geschäft, Emily!«, sagte Jonathan. »Dein Vater war bereit, drei Monate alles für Jack zu tun, solange dir nichts passiert.«
Da waren die Bilder wieder. Ihre Eltern vor ihrem Haus, der kleine Junge, der lächelte. Die Fremden in dem Auto. Waren es Jack und Mary? Wusste sie deswegen, wie Jack und Mary aussahen? War sie in der Wohnung von Jack gewesen und hing dort dieses verfluchte Van-Gogh-Bild mit der Sternennacht? War es genau das gleiche Bild gewesen, das sie dann auch in Canary Wharf in dem Penthouse mit dem toten Jack gesehen hatte?
Ein Swap-Geschäft. Ein Tausch. Und sie war das Geschäft. Genauso wie Jonathan.
»Jack und Mary haben dich entführt. Und dann deine Eltern kontaktiert und ihnen den Deal vorgeschlagen. Und das Geschäft funktionierte«, sagte Jonathan. »Dein Vater würde liefern, solange es ein Druckmittel gab. Und dieses Druckmittel warst du. Und er wusste, dass dir nichts passiert, solange ich die Informationen bekomme. Das zweite Druckmittel war … ich.«
Emily unterbrach ihn. »Du warst der Bote, der die Informationen von meinem Vater…«
»Fast«, sagte Jonathan. »Damit alles wirklich so aussieht, wie es aussehen sollte, haben Jack, Mary und dein Vater das Ganze zu einem wirklichen Tauschgeschäft gemacht. Sie haben dich«, er zeigte auf Emily, »entführt und gleichzeitig mich bei euch in der Villa einquartiert. Das war der Tausch. Emily gegen Jonathan. Es begann am 9. Juni 1998 und endete an deinem Geburtstag.«
Sie hatte es befürchtet, doch die Wahrheit traf sie dennoch mit voller Wucht. Ihr Geburtstag! Das war der Schlüssel! Die Luftballons. Hatten ihre Eltern deswegen so seltsam reagiert? Auf den toten Jack, auf die Sternennacht von van Gogh, auf Emilys Fragen? Warum hatten sie ihr nie etwas erzählt von dem, was an ihrem Geburtstag damals passiert war? Oder konnte es sein, dass Jonathan sie anlog? Aber es klang so verdammt plausibel, so verdammt wahr.
Sie war maßlos erschüttert und maßlos enttäuscht. Andererseits – hatten ihre Eltern eine Wahl gehabt? Oder hatten sie alles getan, was sie konnten, um ihre kleine Tochter zu schützen? Wie lange hatte dieses »Tauschgeschäft«, wie Jonathan es nannte, gedauert?
»Drei Monate?« Sie hörte selbst, wie tonlos ihre Stimme klang.
»Drei Monate«, sagte Jonathan. »Drei Monate lang hast du bei Jack und Mary gelebt, so wie man dort eben lebt. Und ich habe drei Monate bei deinen Eltern gelebt, um die Informationen zu überbringen. Du findest, drei Monate klingen wenig? Für mich war es die schönste Zeit meines Lebens. Eine Privatschule, auf die keine Vollidioten gingen. Freunde, die wie ich waren. Lehrer, die mein Potenzial erkannten und die sich endlich einmal wirklich um mich kümmerten. Die Gegend hier. Die Nachbarn. Die Limousinen. Das Geld. Ich wusste
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