Spiel des Lebens 1
Ihm traute sie ohne Weiteres zu, dass er die treibende Kraft hinter all dem war, dass er den Squattern befohlen hatte, die Vergewaltiger zusammenzuschlagen und zu töten, dass er Jack Barnville an den Starkstrom angeschlossen hatte, dass Mary Lawrence vor ihm geflohen war, dass er Julia entführt hatte, dass er Emily in den College-Keller gesperrt hatte, dass er den Sprengsatz auf der Dachterrasse des College gezündet hatte.
Sie glaubte ihm das alles.
Dass er die SIM -Karte ausgetauscht hatte.
Dass er alle zum Narren gehalten hatte.
Und dass er gefährlich war.
Sehr gefährlich.
Doch eines wusste sie noch immer nicht.
»Warum?«, fragte sie noch einmal.
»Warum?«
Jonathan lächelte wieder. »Genau das, liebe Emily, werde ich dir jetzt erzählen.« Er sah auf die Uhr und nickte zufrieden. »Es wird das Letzte sein, was du in deinem Leben hören wirst. Denn es ist die Geschichte zu unserem Spiel. Zu einem Spiel zwischen Liebe und Hass. Zu einem Spiel zwischen Triumph und Tragödie. Zu einem Spiel zwischen Himmel und Hölle.« Er verschränkte die Arme.
»Willkommen zum Finale vom Spiel des Lebens .«
47
E s war vor 13 Jahren, Emily«, begann Jonathan. »Du hattest eine behütete, schöne Kindheit, hier, in dieser riesigen Villa. Ich hingegen«, er zeigte auf sich, »hatte diese Kindheit nicht. Ich hatte nicht einmal das, was zu einer richtigen Kindheit gehört. Weißt du, was das ist?«
Emily musste nicht lange überlegen. »Eltern?«, fragte sie.
»Eltern«, wiederholte Jonathan. »Sie sind beide gestorben. Oder verschwunden. Als ich noch ganz klein war. Also kam ich zu einer Tante. Eine Tante, die mich nie haben wollte, die mich aber aufgrund irgendeiner gesetzlichen Konstruktion nehmen musste und dafür auch Geld bekam. Eine Tante, die einen guten Job hatte und die ein Kind nur störte. Eine Tante, die für einen sehr erfolgreichen, jungen Investmentbanker arbeitete. Weißt du, wie diese Tante heißt? Oder der erfolgreiche junge Banker?«
Emily ahnte es, aber sie weigerte sich, die Worte auszusprechen. Sie sah den Ordner im Arbeitszimmer ihres Vaters vor sich, sah die Unterlagen aus dem Ordner ihres Vaters:
Ja, verdammt noch mal, 200 000 Pfund sind weg, na und? … Von mir aus belegt Mary mit einem Bußgeld, schimpft sie aus oder nehmt ihr ihre Lieblingsschuhe weg, aber kündigt sie auf keinen Fall. Dann bin ich erledigt. Gute Leute sind rar.
Die Worte ihres Vaters aus den Prozessunterlagen, die sie gelesen hatte, hallten in ihrem Kopf wider.
»Mary«, sagte Emily, wie hypnotisiert. »Mary Lawrence.«
Jonathan nickte, wie ein Professor aus dem Englischseminar.
»Du hast gut recherchiert, Emily«, lobte er. »Und unser gemeinsamer, wenn auch etwas dummer Freund Carter hat dir sicher auch gesagt, dass sie geflohen ist. Nach … « Er schien zu überlegen, obwohl er es sicher genau wusste. »Nach Dubai, wenn ich mich nicht irre.« Dann starrte er Emily mit kalten Augen an. »Aber ich werde auch sie finden. Sobald die Zeit dafür gekommen ist. Und ich werde mir etwas Schönes für sie ausdenken. Vielleicht … « Er zündete seine Zigarre wieder an und stieß dichte Qualmwolken zur Decke. »Vielleicht hänge ich sie ganz oben am Burj Khalifa auf? Kennst du das? Das höchste Gebäude der Welt? Über tausend Meter. Tot, tausend Meter über der Wüste. Luftgetrocknet in einem Kilometer Höhe. Das wäre doch ein Tod, der zu ihrem Größenwahn passen würde, oder, Emily?«
Emily schwieg. Mary Lawrence. Sie war die Tante von Jonathan. Sie hatte ihn großgezogen. Und sie war die Sekretärin ihres Vaters gewesen. Aber was hatte das mit ihr zu tun?
»Den Lebensgefährten von Mary Lawrence, den Lebensabschnittspartner, wie immer wir ihn nennen wollen«, sprach Jonathan weiter, »den kanntest du auch. Du hast ihn gesehen. Denn ich habe ihm gezeigt, was man mit diesen tollen Hochleistungscomputern, die so gut sind, dass sie Starkstrom brauchen, was man mit denen noch machen kann.«
»Du hast ihn umgebracht«, sagte Emily. Und es war nicht einmal die Tatsache, dass er tot war, die sie schockierte. Das hatte sie mittlerweile akzeptiert. Es war die Art, wie selbstverständlich Jonathan darüber sprach. Er hatte so lapidar über den Mord an Jack gesprochen und die Notwendigkeit, ihn aus der Welt zu schaffen, wie andere ein Zeitschriften-Abo abbestellen.
»Umgebracht klingt allerdings etwas harsch«, sagte Jonathan und schüttelte in scheinbarer Entrüstung den Kopf. »Dein Vater, der Banker, und wahrscheinlich
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